Harry Bosch 15 - Neun Drachen
Sie hatte keine Ahnung, wo Peng war.«
Wu beugte sich vor. Seine Körpersprache war leicht zu durchschauen. Er glaubte, Bosch in die Enge zu treiben.
»Sind Sie in Wohnung von Peng gegangen?«
»Wir haben bei ihm geklopft, aber es kam niemand an die Tür. Deshalb sind wir schließlich gegangen.«
Enttäuscht lehnte sich Wu zurück.
»Sie geben zu, dass Sie mit Sun Yee waren?«, fragte er.
»Sicher. Ich war mit ihm zusammen.«
»Woher Sie kennen diesen Mann?«
»Über meine Ex-Frau. Sie haben mich am Sonntagmorgen am Flughafen abgeholt und mir mitgeteilt, dass sie nach meiner Tochter suchen, weil ihnen die Polizei von Hongkong nicht glaubte, dass sie entführt worden war.«
Bosch beobachtete die zwei Männer kurz, bevor er fortfuhr.
»Sie sehen also, bei der HKPF hat man das Ganze nicht ernst genommen. Ich hoffe, Sie werden das in Ihren Berichten erwähnen. Denn ich werde das mit Sicherheit tun, wenn Sie mich da hineinziehen. Ich werde jede Zeitung in Hongkong – egal welcher Sprache – anrufen und meine Geschichte erzählen.«
Hinter der Drohung, die Hongkonger Polizei auf internationaler Ebene bloßzustellen, stand die Absicht, ihre zwei Vertreter zu mehr Vorsicht zu gemahnen.
»Wissen Sie«, fuhr Wu fort, »dass Eleanor Wish, Ihre Ex-Frau, gestorben ist von einer Schusswunde in den Kopf, die sie hat erhalten im fünfzehnten Stock von Chungking Mansions in Kowloon?«
»Ja, das weiß ich.«
»Waren Sie dabei, als ist passiert?«
Bosch sah Haller an, und der Anwalt nickte.
»Ich war dabei. Ich habe gesehen, wie es passiert ist.«
»Können Sie uns sagen, wie?«
»Wir haben nach unserer Tochter gesucht. Wir haben sie nicht gefunden. Wir waren auf dem Hotelflur und wollten gerade gehen, doch dann tauchten zwei Männer auf und begannen, auf uns zu feuern. Eleanor wurde von einem Schuss getroffen und … starb. Die zwei Männer wurden ebenfalls von Schüssen getroffen. Es war Notwehr.«
Wu beugte sich vor.
»Wer hat diese Männer erschossen?«
»Ich glaube, das wissen Sie.«
»Sagen Sie es uns, bitte.«
Bosch dachte an die Pistole, die er seiner toten Exfrau in die Hand gedrückt hatte. Er wollte die Lüge gerade aussprechen, als sich Haller vorbeugte.
»Ich wehre mich entschieden dagegen, Detective Bosch zu erlauben, sich über irgendwelche Theorien zu der Frage auszulassen, wer wen erschossen hat. Ich bin sicher, die HKPF verfügt über die erforderlichen kriminaltechnischen Mittel, um diese Frage mittels ballistischer Untersuchungen längst erschöpfend geklärt zu haben.«
Wu ging zum nächsten Punkt über.
»War Sun Yee im fünfzehnten Stock?«
»Nicht zu diesem Zeitpunkt.«
»Können Sie uns genauere Angaben machen?«
»Zu den Schüssen? Nein. Aber ich kann Ihnen etwas über das Zimmer sagen, in dem meine Tochter festgehalten wurde. Wir haben dort ein blutiges Papiertaschentuch gefunden. Ihr war Blut abgenommen worden.«
Bosch beobachtete die zwei Männer, um zu sehen, wie sie diese Information aufnahmen. Sie zeigten keine Reaktion.
Die Männer aus Hongkong hatten einen Aktenordner vor sich liegen, den Wu jetzt öffnete. Er entnahm ihm ein Dokument mit einer Büroklammer daran und schob es Bosch über den Tisch hinweg zu.
»Das ist Aussage von Sun Yee. Sie ist übersetzt in Englisch. Bitte lesen Sie und bestätigen, dass richtig.«
Haller beugte sich ebenfalls vor, und beide Männer lasen das zwei Seiten umfassende Dokument. Bosch durchschaute ihren Trick sofort. Sie hatten ihre Ermittlungstheorie als Suns Aussage getarnt. Etwa die Hälfte davon entsprach den Tatsachen. Der Rest waren Annahmen, die sich auf Vernehmungen und Indizien stützten. Sie lasteten die Ermordung der Familie Peng Bosch und Sun Yee an.
Entweder versuchten sie zu bluffen, damit Bosch ihnen erzählte, was tatsächlich passiert war, oder sie hatten Sun festgenommen und ihn gezwungen, seinen Namen unter eine ihnen genehme Version der Geschichte zu setzen, der zufolge Bosch dieses Blutbad in Hongkong angerichtet hatte. Es wäre die bequemste Möglichkeit, neun gewaltsame Todesfälle an einem einzigen Sonntag zu erklären: Der Amerikaner war’s.
Bosch musste daran denken, was Sun am Flughafen zu ihm gesagt hatte.
Ich regle das. Ihr Name wird nicht fallen. Das ist mein Versprechen. Egal, was passiert, ich werde Sie und Ihre Tochter aus allem heraushalten.
»Meine Herren«, sagte Haller, der das Dokument als Erster durchgelesen hatte. »Dieses Dokument ist …«
»Kompletter Blödsinn«, beendete Bosch den
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