Harry Bosch 15 - Neun Drachen
Büro. Dort warteten zwei Männer aus Hongkong. Sie standen auf, als Bosch eintrat, und reichten ihm ihre Visitenkarten. Alfred Lo und Clifford Wu. Beide waren vom Triadendezernat der Hongkong Police Force.
Bosch stellte Haller vor und gab die Visitenkarten an ihn weiter.
»Brauchen wir einen Dolmetscher, meine Herren?«, fragte Haller.
»Das ist nicht nötig«, antwortete Wu.
»Das ist doch schon mal ein guter Anfang«, befand Haller. »Dann würde ich vorschlagen, wir setzen uns und versuchen zu klären, was es für Probleme gibt.«
Alle, Gandle eingeschlossen, nahmen am Konferenztisch Platz. Haller ergriff das Wort.
»Lassen Sie mich gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass mein Mandant, Detective Bosch, nicht bereit ist, auf eines seiner verfassungsmäßig garantierten Rechte zu verzichten. Wir befinden uns hier auf amerikanischem Boden, und demzufolge ist er nicht verpflichtet, mit Ihnen zu sprechen, meine Herren. Allerdings ist er auch Polizist und weiß als solcher, womit Sie beide sich Tag für Tag herumzuschlagen haben. Daher ist er gegen meinen Willen bereit, mit Ihnen zu sprechen. Wir werden deshalb folgendermaßen verfahren: Sie können ihm Fragen stellen, und er wird versuchen, sie zu beantworten, wenn ich der Ansicht bin, dass er das tun sollte. Eine Aufzeichnung dieses Gesprächs ist nicht zulässig, aber wenn Sie wollen, können Sie sich Notizen machen. Wir hoffen, dass Sie nach Beendigung dieses Gesprächs mit einem besseren Verständnis der Vorkommnisse des vergangenen Wochenendes nach Hongkong zurückkehren werden. Aber eines steht jetzt schon fest: Sie werden nicht mit Detective Bosch dorthin zurückkehren. Seine Kooperation in dieser Angelegenheit endet, wenn diese Besprechung endet.«
Haller unterstrich seinen Eröffnungssermon mit einem Lächeln.
Bevor Bosch ins PAB gekommen war, hatte er sich mit dem Anwalt fast eine Stunde lang im Fond von dessen Lincoln Town Car besprochen. Sie hatten an der Hundewiese in der Nähe des Franklin Canyon geparkt, wo sie, während sie miteinander redeten, Boschs Tochter im Auge behalten konnten, während sie herumschlenderte und die zugänglichen Hunde streichelte. Als sie fertig waren, brachten sie Maddie zu ihrem Termin bei Dr. Hinojos und fuhren zum PAB weiter.
Sie waren zwar nicht in allen Punkten einer Meinung, konnten sich aber dennoch auf eine gemeinsame Strategie einigen. Eine kurze Internet-Recherche auf Hallers Laptop hatte sogar einiges Hintergrundmaterial zutage gefördert. Sie waren also gut gerüstet, um Boschs Standpunkt gegenüber den Männern aus Hongkong zu rechtfertigen.
Da er selbst Polizist war, stand Bosch eine schwierige Gratwanderung bevor. Einerseits wollte er, dass seine Kollegen auf der anderen Seite des Pazifiks erführen, was passiert war, andererseits war er nicht willens, sich selbst, seine Tochter oder Sun Yee zu gefährden. Er hielt alles, was er in Hongkong getan hatte, für gerechtfertigt. Er erzählte Haller, dass er in Situationen gebracht worden war, in denen er nur noch die Wahl gehabt hatte zwischen Töten und Getötetwerden. Dazu zählte er auch seine Begegnung mit dem Hotelportier im Chungking Mansions. Er war in allen Fällen als Sieger aus diesen Konfrontationen hervorgegangen. Daran war nichts Unrechtes. Nicht, wie er die Sache sah.
Lo zückte seinen Stift, und Wu stellte die erste Frage, womit klar war, dass er der Ranghöhere der beiden war.
»Zuerst, wir wollen wissen, warum sind Sie gekommen nach Hongkong so kurz?«
Bosch zuckte mit den Achseln, als läge die Antwort auf der Hand.
»Um meine Tochter zu befreien und hierherzubringen.«
»Samstagmorgen Ihre frühere Frau, sie meldet Tochter vermisst bei Polizei«, sagte Wu.
Bosch sah ihn durchdringend an.
»Ist das eine Frage?«
»War sie vermisst?«
»Meines Wissens war sie am Samstagmorgen tatsächlich vermisst, aber ich war am Samstagmorgen zehntausend Meter über dem Pazifik. Ich kann Ihnen nichts darüber sagen, was meine Ex-Frau zu diesem Zeitpunkt getan hat.«
»Wir glauben, Ihre Tochter wurde geraubt von einem Mann, heißt Peng Qingcai. Kennen Sie ihn?«
»Ich bin ihm nie begegnet.«
»Peng ist tot«, sagte Lo.
Bosch nickte.
»Deswegen werde ich nicht in Tränen ausbrechen.«
»Herr Pengs Nachbarin, Frau Fengyi Mai, sie erinnert sich, sie hat gesprochen mit Ihnen in ihre Wohnung Sonntag«, sagte Wu. »Mit Ihnen und Herr Sun Yee.«
»Ja, wir waren bei ihr. Sie war keine große Hilfe.«
»Warum?«
»Weil sie offenbar nichts wusste.
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