Harry Bosch 15 - Neun Drachen
Wann?«
»Könnte sie um eins vorbeikommen?«
»Klar, kein Problem. Soll ich sie einfach zu Ihnen bringen, oder bekommen Sie dann Ärger?«
»Nein, das glaube ich an sich nicht. Ich werde es nicht als offizielle Beratung eintragen.«
In Boschs Handy begann es erneut zu piepen. Diesmal nahm er es von seinem Ohr, um auf die Anrufererkennung zu schauen. Es war Lieutenant Gandle.
»Also dann, Doc«, antwortete Bosch. »Und vielen Dank.«
»Ich freue mich schon, Sie wiederzusehen. Vielleicht sollten auch Sie und ich mal miteinander reden. Ich weiß, Sie haben noch sehr an Ihrer Ex-Frau gehangen.«
»Ich würde sagen, kümmern wir uns erst einmal um meine Tochter. Dann können wir uns über mich Gedanken machen. Ich bringe sie bei Ihnen vorbei und lasse Sie beide dann allein. Vielleicht gehe ich in der Zwischenzeit ins Philippe’s rüber oder so was.«
»Bis dann also, Harry.«
Er beendete das Gespräch und sah nach, ob Gandle eine Nachricht hinterlassen hatte. Hatte er nicht. Er ging wieder nach drinnen und stellte fest, dass seine Tochter den Schreibtisch schon fast vollständig zusammengebaut hatte.
»Ich muss schon sagen, Mad, nicht übel.«
»Das war doch total easy.«
»Den Eindruck hatte ich eigentlich nicht.«
Er hatte sich gerade wieder auf dem Boden niedergelassen, als das Telefon in der Küche zu läuten begann. Er stand auf und hastete zu dem alten Wandapparat, der keine Anrufererkennung hatte.
»Bosch, wo stecken Sie denn?«
Es war Lieutenant Gandle.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich ein paar Tage freinehme.«
»Sie müssen aber dringend reinkommen. Und bringen Sie Ihre Tochter mit.«
Bosch starrte in die leere Spüle hinab.
»Meine Tochter? Warum, Lieutenant?«
»Weil in Captain Dodds’ Büro zwei Herren von der Hongkong Police Force sitzen, die mit Ihnen sprechen wollen. Sie haben mir ja gar nicht erzählt, dass Ihre Ex-Frau tot ist, Harry. Und Sie haben mir auch nichts von der Spur aus Leichen erzählt, die Sie laut Aussagen dieser zwei Herren durch Hongkong gezogen haben.«
Bosch zögerte, um über seine Optionen nachzudenken.
»Sagen Sie ihnen, ich komme um halb zwei rein«, sagte er schließlich.
Gandle reagierte ungehalten.
»Um halb zwei? Wozu brauchen Sie drei Stunden? Kommen Sie sofort.«
»Das geht nicht, Lieutenant. Ich kann erst um halb zwei vorbeikommen.«
Bosch legte auf und holte sein Handy heraus. Er hatte damit gerechnet, dass die Hongkonger Polizei irgendwann anrücken würde, und hatte sich für diesen Fall bereits einen Plan zurechtgelegt.
Zuerst rief er Sun Yee an. Er wusste, in Hongkong war es sehr spät, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Nach dem achten Läuten schaltete sich die Mailbox ein.
»Hier Bosch. Rufen Sie mich so schnell wie möglich zurück.«
Bosch drückte die Trenntaste und starrte auf das Handy. Das war kein gutes Zeichen. In Hongkong war es halb zwei Uhr morgens, also eine Zeit, zu der Sun Yee sein Handy normalerweise hätte griffbereit haben müssen. Außer es unterlag nicht mehr seiner Entscheidung.
Als Nächstes scrollte er das Nummernverzeichnis seines Handys durch, bis er zu einer Nummer kam, die er schon mindestens ein Jahr lang nicht mehr angerufen hatte.
Doch jetzt wählte er sie, und es ging sofort jemand dran.
»Mickey Haller.«
»Hier Bosch.«
»Harry? Ich hätte nicht gedacht, dass …«
»Ich glaube, ich brauche einen Anwalt.«
Eine Pause.
»Okay, wann?«
»Jetzt gleich.«
42
G andle stürmte aus seinem Büro, sobald er Bosch den Bereitschaftsraum betreten sah.
»Bosch, ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen auf der Stelle herkommen. Warum haben Sie nicht …«
Er blieb stehen, als er sah, wer hinter Bosch hereinkam.Mickey Haller war ein bekannter Strafverteidiger. Es gab bei der RHD keinen Detective, der ihn nicht vom Sehen kannte.
»Ist das Ihr Anwalt?«, schnaubte Gandle verächtlich. »Sie sollten Ihre Tochter mitbringen, nicht Ihren Anwalt.«
»Lieutenant«, sagte Bosch, »nur um das gleich von Anfang an klarzustellen: Meine Tochter hat mit dieser Sache absolut nichts zu tun. Mr. Haller ist mitgekommen, um mich zu beraten und mir zu helfen, den Herren aus Hongkong klarzumachen, dass ich keine Straftaten begangen habe, als ich in ihrer Stadt war. Deshalb, wären Sie vielleicht so freundlich, mich ihnen vorzustellen, oder soll ich das selbst tun?«
Nach kurzem Zögern gab Gandle klein bei.
»Kommen Sie.«
Der Lieutenant führte sie in das Besprechungszimmer neben Captain Dodds’
Weitere Kostenlose Bücher