Harry Dresden 08 - Schuldig
möglich festzustellen, dass die anderen beiden Schwerter über die Jahre hinweg ab und zu neu geschmiedet wurden. Dieses aber nicht.“
„Das ist interessant“, grübelte ich leise. „Das ist verd… das ist wirklich interessant.“
Michael schenkte mir ein leises Lächeln und nickte. „Das ist ein faszinierendes Rätsel, nicht wahr?“
„Weißt du was?“, sagte ich. „Mit Rätseln kenne ich mich aus.“ Ich knabberte an meiner Unterlippe. „Aber ich hoffe, du hast es nicht eilig. Wie dir sicher aufgefallen ist, hat der Rat im Augenblick ein ziemlich aufregendes Jahr. Früher oder später werde ich sicher Zeit dafür finden, doch im Moment …“ Ich zuckte die Achseln.
„Ich weiß.“ Er schwieg für einen Augenblick, ehe er wieder zu sprechen begann: „Aber die Geschichte dieses Schwertes zu kennen, könnte von Bedeutung sein. Also wäre früher besser.“
Irgendetwas an seinem Tonfall ließ mich zu ihm hinübersehen. „Weshalb?“
Seine Hand fuhr unbewusst zu Amoracchius ’ Griff. „Ich glaube, ich werde dieses Schwert nicht mehr lange führen.“ Seine Stimme war extrem sanft.
Wenn Kreuzritter in Pension gingen, taten sie das für gewöhnlich in einer hölzernen Kiste.
„Michael?“, fragte ich. „Hast du etwa … äh … ein Memo von ganz oben bekommen?“, erkundigte ich mich vorsichtig. „Wie Shiro?“, setzte ich in Gedanken hinzu.
„Nein. Instinkt“, sagte er und lächelte mich an. „Aber es könnte sein, dass ich langsam in die Midlifecrisis schlittere. Ich habe auch nicht vor, mein Leben jetzt grundlegend zu ändern und sicher nicht, mich aufs Altenteil zurückzuziehen.“
„Gut“, meinte ich, auch wenn es um einiges düsterer rüberkam, als ich es beabsichtigt hatte.
„Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“, bat Michael.
„Ich bin gerade zu sehr damit beschäftigt, rhetorische Fragen zu beantworten.“
Er grinste und nickte. Dann schürzte er die Lippen und nahm sich die Zeit, seine nächsten Worte mit Bedacht zu wählen. „Harry, du gehst mir jetzt schon geraume Zeit aus dem Weg und machst… einen miesepetrigeren Eindruck als je zuvor.“
„Ich habe dich nicht gemieden“, protestierte ich.
Er warf mir einen ruhigen, gelassenen Blick zu.
„Na gut“, sagte ich. „Ja. Aber ich bin beinahe jedem aus dem Weg gegangen. Nimm’s nicht persönlich.“
„Liegt es an etwas, das ich getan habe? Oder vielleicht jemand aus meiner Familie?“
„Schluss mit der Rhetorik. Du weißt, dass dem nicht so ist.“
Er nickte. „Dann ist es vielleicht etwas, das du getan hast. Vielleicht solltest du mit einem Freund darüber sprechen.“
Das Zeichen Lasciels auf meiner Handfläche juckte wie verrückt. Ich wollte schon verneinen, schluckte die Worte jedoch im letzten Augenblick hinunter. Ich fuhr ein oder zwei Blocks stumm weiter. Ich sollte es ihm sagen. Ich sollte es ihm wirklich sagen. Michael war mein Freund. Er verdiente mein Vertrauen und meinen Respekt. Er verdiente die Wahrheit.
Aber ich konnte es nicht.
Dann begann sich mein Mund zu bewegen, und ich bemerkte, dass das, was mir am meisten auf der Seele lag, nichts mit Münzen oder gefallenen Engeln zu tun hatte. „Letztes Halloween“, hob ich an, „habe ich zwei Menschen getötet.“
Er atmete tief ein, nickte und hörte aufmerksam zu.
„Einer war Cassius. Nachdem ich ihn besiegt hatte, befahl ich Mouse, ihm das Genick zu brechen. Die andere war eine Nekromantin namens Totengreifer. Ich habe ihr in den Hinterkopf geschossen.“ Ich schluckte. „Ich habe sie ermordet. Ich hatte zuvor noch nie getötet, Mann … nicht so. Nicht kaltblütig.“ Ich fuhr eine Weile weiter durch die Nacht. „Ich habe Alpträume.“
Ich hörte, wie er seufzte. Einen Moment lang war seine Stimme düster, voller Kummer. „Ich bin schon länger als du in diesem Geschäft. Ich kann deine Gefühle nachvollziehen.“
Ich erwiderte nichts.
„Du hast das Gefühl, es werde nie wieder in Ordnung kommen“, sagte er. „Du erinnerst dich bis ins letzte Detail daran, und es lässt dir keine Ruhe. Du fühlst dich, als gingest du mit einem spitzen Stein im Schuh durchs Leben. Du fühlst dich befleckt.“
Diese blöden Straßenlaternen. Wie konnten die mir nur so plötzlich vor den Augen verschwimmen? Ich blinzelte ungestüm und schwieg. Meine Kehle war ohnehin zugeschnürt.
„Ich weiß genau, wie das ist“, fuhr er fort, „und das wirst du auch nie wieder los. Aber mit der Zeit wird es besser.“ Er musterte mich eine Weile.
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