Harry Dresden 08 - Schuldig
überrascht. „Harry, hier ist Molly. Molly Carpenter.“
„Ah”, erwiderte ich und klatschte mir mit der Hand auf die Stirn. Die älteste Tochter meines Freundes.
„Ganz tolles Vorbild, Harry. Du kommst echt total rüber wie ein ruhiger, zuverlässiger Erwachsener“, dachte ich. Laut sagte ich: „Molly, hab’ dich zuerst gar nicht erkannt.“
„Tut mir leid“, sagte sie.
Ein leichtes Lallen lag in ihrer Stimme. Hatte sie getrunken? „Nicht deine Schuld“, sagte ich. War es auch nicht. Wenn man es so betrachtete, hatte ich mit dieser Unterbrechung vielleicht sogar Glück. Wenn mein Kopf durch den Rums mit dem Auto am Nachmittag immer noch so durchgeschüttelt war, dass ich sogar vergessen hatte, das Telefon auszustöpseln, war es wahrscheinlich besser, wenn ich die Finger von dem Zauber ließ. Gut möglich, dass ich mir selbst den Kopf weggeblasen hätte. „Was willst du, Molly?“
„Äh“, stotterte sie. Ich konnte die Anspannung in ihrer Stimme klar erkennen. „Ich brauche jemanden, der für mich Kaution stellt.“
„Kaution“, wiederholte ich. „Das meinst du ernst, nicht wahr?“
„Ja.“
„Du bist im Knast?“
„Ja“, sagte sie.
„Oh mein Gott“, sagte ich. „Molly, ich weiß nicht, ob ich das kann. Du bist sechzehn.“
„Siebzehn“, sagte sie indigniert, und das Wort klang äußerst verwaschen.
„Wie auch immer“, sagte ich. „Du bist minderjährig. Du solltest deine Eltern anrufen.“
„Nein!“, rief sie mit fast panischer Stimme. „Harry, bitte. Ich kann sie nicht anrufen.“
„Warum nicht?“
„Weil ich nur einen Anruf frei habe, und den habe ich benutzt, um dich anzurufen.“
„Wenn ich es mir genau überlege, bin ich mir sicher, dass es so nicht funktioniert, Molly.“ Ich seufzte. „Tatsächlich überrascht es mich sehr…“ Ich runzelte die Stirn, während ich nachdachte. „Du hast ein falsches Alter angegeben.“
„Wenn ich das nicht getan hätte, wären Mama und Papa schon längst hier“, gestand sie ein. „Harry, sieh mal, wir haben… wir haben im Moment ziemliche Schwierigkeiten daheim. Ich kann es dir hier nicht erklären, aber ich schwöre, wenn du mich holen kommst, erzähle ich dir alles.“
Ich seufzte erneut. „Ich weiß nicht, Molly …“
„Bitte?“, sagte sie. „Nur dieses eine Mal, und ich werde dir alles zurückzahlen. Ich werde dich nie wieder um etwas bitten, das verspreche ich.“
Molly hatte sich schon vor langer Zeit ihren Doktortitel im Beschwatzen verdient. Sie schaffte es, gleichzeitig sensibel, vertrauensvoll, unglücklich, verzweifelt und süß zu klingen. Ich bin absolut sicher, dass sie sich nicht einmal halb so sehr anstrengen musste, um ihren Vater um den Finger zu wickeln. Doch ihre Mutter Charity war höchstwahrscheinlich eine ganz andere Geschichte
Ich seufzte. „Warum ich?“, fragte ich.
Ich hatte nicht mit Molly geredet, doch sie antwortete. „Ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte“, sagte sie. „Ich brauche Hilfe.“
„Ich werde deinen Vater anrufen, und dann komme ich mit ihm zu dir.“
„Bitte nicht“, flüsterte sie, und diesmal hatte ich nicht das Gefühl, als täusche sie die Verzweiflung in ihrer Stimme nur vor. „Bitte.“
Welchen Zweck hatte es, sich gegen das Unvermeidliche zu stemmen? Ich hatte schon immer eine Schwäche für die sprichwörtliche Jungfer in Nöten gehabt. Vielleicht war es nicht mehr so extrem wie in der Vergangenheit, doch schien dieser Teufel, der mich ritt, mich immer noch fest in seinen Krallen zu haben.
„Na gut“, sagte ich. „Wo?“
Sie gab mir die Adresse eines Polizeireviers, das nicht weit von meiner Wohnung entfernt lag.
„Ich komme“, meinte ich. „Aber es läuft folgendermaßen: Ich werde mir anhören, was du zu sagen hast, und wenn mir das nicht gefällt, rufe ich deine Eltern an.“
„Aber du …“
„Molly“, unterbrach ich sie und bemerkte, wie mein Tonfall härter wurde. „Du bittest mich bereits um mehr, als mir lieb ist. Ich komme dich abholen. Du erzählst mir, was los ist, und dann werde ich eine Entscheidung treffen, und du wirst dich daran halten.“
„Aber …“
„Das ist keine Verhandlung“, sagte ich. „Willst du meine Hilfe oder nicht?“
Nach einer langen Pause stieß sie einen unzufriedenen Laut aus. „Na gut“, sagte sie, und einen Herzschlag später beeilte sie sich hinzuzufügen: „Danke.“
„Gern“, knurrte ich und beäugte all die Kerzen und das Räucherwerk und dachte an all die
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