Harry Dresden 08 - Schuldig
Briefträger vorbeigeschaut hatte.
Unterm Strich verfolgte mich also irgendetwas Scheußliches vom fiesen Ende meiner Straßenseite der übernatürlichen Welt durch die Stadt. Du meine Güte; zumindest wusste ich normalerweise, wen ich warum zur Weißglut gebracht hatte. Wenn ich beschattet wurde, gab es in einem Fall meist schon mindestens ein oder zwei Tatorte und oft auch ein paar Leichen.
Mouse knurrte nochmals warnend.
„Ich sehe ihn“, versicherte ich Mouse leise. „Ganz ruhig. Einfach weitergehen.“
Er verstummte, und wir gingen zügig zur Eingangstür weiter.
Molly Carpenter erschien, um sie für uns zu öffnen.
Das letzte Mal, als ich Molly gesehen hatte, war sie eine ungeschickte Jugendliche gewesen. Sie schien damals vollständig aus dürren Beinen, großäugigem Interesse und zögerlichen Bewegungen, die aber von einer gewinnenden Selbstsicherheit und häufigem Lächeln und Lachen ausgeglichen wurden, zu bestehen. Aber das war vor Jahren gewesen.
Seit damals war Molly erwachsen geworden.
Sie kam sehr nach ihrer Mutter Charity. Beide waren große Frauen, knapp unter eins achtzig, blond, mit heller Haut und blauen Augen. Beide waren ziemlich breitschultrig, schafften es aber irgendwie, Stärke, Anmut und Schönheit zu vereinen, die sich ebenso in ihrer Haltung, ihrem Ausdruck und in ihren Bewegungen zeigten wie in ihrem Äußeren. Charity war eine Rose aus Stahl, und Molly war ihr jüngeres Ebenbild.
Auch wenn ich stark daran zweifelte, dass Charity je die Klamotten getragen hätte, die Molly jetzt anhatte.
Molly stand mir in einem langen, dünnen Rock gegenüber, der an mehreren Stellen künstlerisch angebrachte Risse aufwies. Darunter trug sie Netzstrümpfe, die weit mehr von ihren Beinen und ihrer Hüfte sehen ließen, als Charity recht gewesen wäre. Auch die Netzstrümpfe wiesen die gleichen, kunstvollen Risse auf, die den Blick auf die blasse Haut ihrer Schenkel und Waden freigaben. An den Füßen hatte sie Kampfstiefel aus dem Armyshop, die mit neongelben und blauen Bändern geschnürt waren. Sie trug ein Trägershirt, dessen dünner, weißer Stoff sich über die Rundungen ihrer Brüste spannte, und eine kurze Bolerojacke, an der ein riesiger, knallbunter Anstecker mit der Aufschrift „Splattercon!!!“ in blutroten Lettern prangte. Schwarze Lederhandschuhe bedeckten ihre Hände.
Aber he, das war bei Weitem noch nicht alles.
Ihr blondes Haar war wild gefärbt, die eine Seite ihres Kopfes kaugummirosa, die andere himmelblau, und offensichtlich mit einem Lineal zu einer absolut einheitlichen Länge knapp unter ihrem Kinn geschnitten, wodurch ein Schleier bunten Haares ihr Gesicht fast vollständig verbarg. Sie hatte eine ganz schöne Menge Make-up aufgelegt; viel zu viel Lidstrich und Mascara und schwarzer Lippenstift auf ihren Lippen. Glänzende Ringe aus Gold glitzerten in beiden Nasenflügeln, ihrer Unterlippe, ihrer rechten Braue, und eine goldene Perle befand sich in der kleinen Einbuchtung direkt unter ihrer Unterlippe. Ich konnte sogar winzige Auswölbungen, die in etwa die Form von Hanteln hatten, an ihren Brustwarzen erkennen, wo der dünne Stoff mehr erahnen ließ, als er verbarg.
Ich wollte gar nicht wissen, welche Piercings sie sonst noch hatte. Ich wusste das, weil ich mir das streng einbläute. Ich wollte es echt nicht wissen, auch wenn es irgendwie höllisch faszinierend war.
Aber das war immer noch nicht alles.
Sie hatte ein Tattoo in Form einer sich windenden Schlange auf der linken Seite ihres Halses, und ich konnte die Kurven und Dornen eines Tribals oberhalb des Kragens ihres Trägershirts durchblitzen sehen. Ein weiteres Muster aus wirbelnden Kringeln und Spiralen zierte ihre rechte Hand und verschwand unter dem Ärmel ihrer Jacke.
Sie sah mich mit einer hochgezogenen Braue an und wartete geduldig, bis ich eine Reaktion zeigte. Ihre Haltung und ihr Ausdruck sollten mich ganz eindeutig wissen lassen, dass sie viel zu cool war, um sich um meine Meinung zu scheren, aber ich konnte ihre Unsicherheit und Anspannung, die sie verzweifelt zu verbergen versuchte, beinahe riechen.
„Lange nicht gesehen“, sagte ich schließlich.
„Hallo, Harry“, entgegnete sie. Die Worte drangen ein wenig lallend über ihre Lippen, und auch auf ihrer Zungenspitze konnte ich Gold aufgleißen sehen.
War ja klar.
„Das ist aber seltsam“, sagte ich. „Von hier aus sieht es aber gar nicht so aus, als säßest du im Gefängnis.“
„Ich, wie?“, antwortete sie. Sie versuchte,
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