Harry Dresden 09: Weiße Nächte
Spitze, als wir hinunter zum Wagen gingen, der sich trotz der späten Stunde einen Strafzettel eingefangen hatte. Ich schob das Knöllchen in die Manteltasche. „Sieh es doch mal positiv, Harry“, sagte ich mir. „Zumindest bist du nicht abgeschleppt worden.“
Alle im Käfer unterzubringen war schon in sich ein Abenteuer, doch wir schafften es und fuhren zu dem schäbigen Motel im Süden der Stadt zurück.
Etwa zwanzig Sekunden, nachdem wir eingeparkt hatten, kam Murphys Harley Davidson aus einer Seitengasse und über die Straße geknattert, von wo aus sie höchstwahrscheinlich das Hotel beobachtet hatte. Ich vermutete, von einer Stelle, wo sie die Fenster und Türen der beiden Zimmer, die Thomas gemietet hatte, im Auge behalten konnte. Sie trug Jeans, ein dunkles Trägertop, und darüber hatte sie sich ein weißes Herrenhemd, dessen Ärmel sie ungefähr zwanzig Mal umgekrempelt hatte, wie einen Trenchcoat umgehängt, so dass er die beiden Schulterhalfter, eines mit einer Glock, das andere mit einer SIG, verbarg. Ihr Haar hatte sie zu einem losen Pferdeschwanz zusammengefasst. Die Polizeimarke, die sie in solchen Fällen immer an einer Kette um den Hals trug, glänzte diesmal durch Abwesenheit.
Sie sah ein wenig verunsichert drein, als die Völkerscharen aus dem Käfer stiegen. Elaine scheuchte sie in Richtung der Motelzimmer und trug ihnen auf, schnellstmöglich außer Sicht zu verschwinden.
„Keine Clownautowitze“, sagte ich zu Murphy. „Keinen einzigen!“
„Ich wollte doch gar nichts sagen“, sagte Murphy. „Harry, was ist denn mit dir passiert?“
„Ist dir heute etwas über den Hafen zu Ohren gekommen?“
„Oh“, sagte Murphy. Mouse kam herübergetrottet, um sie zu begrüßen, und sie schüttelte würdevoll seine Pranke. „Thomas war mit Erklärungen nicht besonders freizügig. Er ist schnell von hier verduftet.“
„Er hatte Hunger“, erläuterte ich.
Murphy runzelte die Stirn. „Das hat er mir auch gesagt. Wird er jemandem Schaden zufügen?“
Ich dachte nach und schüttelte dann den Kopf. „Normalerweise würde ich das jetzt verneinen. Im Augenblick … bin ich mir nicht so sicher. Es würde ihm nicht im Mindesten ähnlich sehen. Aber irgendwie hat er in diesem ganzen Schlamassel überhaupt nicht wie er selbst gewirkt.“
Murphy verschränkte die Arme. „Schlamassel ist der richtige Ausdruck. Willst du mir sagen, was abgeht?“
Ich lieferte Murphy die Kurzversion dessen, was seit unserem letzten Treffen geschehen war.
„Jesus, Maria und Joseph“, ächzte Murphy. „Dann war es wirklich Beckitt.“
„Sieht aus, als hätte sie für den Skavis den Lockvogel gespielt, wer immer er auch ist, und Graumantel und dieses Weichei von Thomas’ Vetter haben selbst ein paar Morde drüber gestreut, um meine Aufmerksamkeit darauf zu lenken.“
„Das liegt aber nicht gerade im Interesse des Skavis, wo er sich doch alle Mühe gegeben hat, genau das zu vermeiden.“
„Ich weiß – und?“
„Es sind doch alles Vampire, oder?“ Murphy zuckte die Achseln. „Ich hätte eigentlich vermutet, dass sie zusammenarbeiten würden.“
„Die gehören zum Weißen Hof. Hinterlist ist ihr Unlebenszweck. Sie lieben es einfach, Strippen zu ziehen. Wahrscheinlich haben die ausgeknobelt, dass ich früher oder später über die Morde stolpern und dann den Skavis für sie in Grund und Boden stampfen würde. Danach hätten sie einander die Hände geschüttelt und gratuliert, was für Schlaumeier sie doch sind.“
Murphy nickte. „Was nun, nachdem du deine Klienten in Sicherheit gebracht hast?“
„Ich werde in einem weit größeren Ausmaß Dinge in Grund und Boden stampfen, als sie erwarten“, verkündete ich. „Ich werde Beckitt aufstöbern und ganz lieb bitten, niemanden mehr zu töten und mir den Weg in Richtung des Skavis zu weisen. Dann werde ich mich ganz höflich mit ihm unterhalten, und dann werde ich mich mit Graumantel und Beifahrer Madrigal an einen Tisch setzen.“
„Wie findest du Beckitt?“
„Äh“, sagte ich. „Ich bin sicher, dass mir da etwas einfallen wird. Dieses ganze Durcheinander ist mir noch viel zu nebulös.“
„Ja“, sagte Murphy. „All die Morde. Es ergibt nach wie vor keinen Sinn.“
„Es ergibt Sinn“, sagte ich. „Wir wissen im Augenblick nur noch nicht, welchen.“ Ich schnitt eine Grimasse. „Irgendwas ist uns bisher entgangen.“
„Vielleicht auch nicht“, warf Murphy ein.
Ich zog meine Braue hoch.
„Erinnerst du dich an die Leiche, die
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