Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
und Gefühle von acht Millionen Menschen entstand, floss völlig ungeplant und unstrukturiert, schimmerte in hektischen, zusammenhanglosen, teils grässlichen Farben.
Wolken aus Gefühlen, denen Ideen entsprangen wie Funken aus einem Lagerfeuer. Schwer fließende, tiefgehende Gedanken, die träge dahin strömten, und darüber tanzte flammenden Juwelen gleich die Freude. Negative Gefühle setzten sich als Ablagerung an festen Oberflächen ab, färbten sie dunkler, während Träume zerbrechlichen Seifenblasen gleich vielfarbig schimmernd hin zu den Sternen aufstiegen.
Elender Mist! Durch all das Farbengewusel hindurch konnte ich kaum noch sehen, wo ich hinfuhr.
Bei jedem Blick über die Schulter oder in den Rückspiegel erkannte ich die Leute in den Autos hinter mir als hell erleuchtete, weiße Gestalten, über denen ein sich ständig veränderndes Kaleidoskop aus Farben ihren Gefühlen, Gedanken, Stimmungen und Persönlichkeiten Ausdruck verlieh. Mit weniger Abstand hätte ich mehr Einzelheiten wahrnehmen können, wobei sich mein Unterbewusstsein in die Interpretation des Gesehenen eingemischt hätte. Aber selbst aus der Entfernung heraus konnte ich feststellen, dass die Wagen hinter mir mit Sterblichen besetzt waren.
In gewisser Weise war das eine Erleichterung. Einen Magier, der mächtig genug war, um zu den Wächtern zu gehören, hätte ich auch aus der Ferne erkannt. Wenn mich also ein normaler Sterblicher verfolgte, durfte ich fast sicher annehmen, dass der Rat Morgan noch nicht aufgespürt hatte.
Ich warf einen Blick nach oben und ...
Die Zeit stand still.
Stellen Sie sich vor, wie verwesendes Fleisch stinkt. Stellen Sie sich das träge, arhythmische Pulsieren einer von Maden besetzten Leiche vor. Stellen Sie sich abgestandenen Körpergeruch vor, durchmischt mit dem Geruch von Mehltau, dazu das Geräusch langer Fingernägel, die über eine Schiefertafel kratzten, den Geschmack verdorbener Milch und verfaulten Obstes, und nun versuchen Sie, sich auszumalen, Sie könnten all diese Dinge mit den Augen aufnehmen, alle auf einmal, jedes widerwärtige Detail.
Folgendes sah ich: eine Masse, bei deren Anblick sich mir der Magen umdrehte und Angstträume wahr wurden, lichterloh wie der Lichtkegel eines Leuchtturms, auf einem der Gebäude über mir. Dahinter ganz dunkel eine Gestalt, aber so undeutlich, als versuchte ich, durch ungefilterte Abwässer zu sehen. Dieses Etwas war durch und durch fehl am Platz, war ganz einfach falsch, war umgeben von einem Nebel aus Falschsein , durch den hindurch sich keinerlei Details ausmachen ließen. Das Ding sprang von Dachkante zu Dachkante, so schnell, dass es mühelos mit mir mithielt.
Jemand schrie. Höchstwahrscheinlich ich, wie ich am Rande meines Bewusstseins gerade noch wahrnahm. Der Käfer stieß gegen etwas, heulte protestierend laut auf. Ein harter Schlag, noch einer. Ich war gegen die Bordsteinkante gefahren. Durch das Lenkrad hindurch spürte ich, wie sich die Vorderräder verkeilten, trat immer noch laut schreiend mit voller Wucht auf die Bremse und mühte mich ab, mein drittes Auge zu schließen.
Als Nächstes hörte ich das wütende, ungeduldige Protestgeschrei unzähliger Autohupen.
Ich saß auf dem Fahrersitz, das Lenkrad so fest umklammert, dass meine Knöchel schneeweiß schimmerten. Der Motor des Käfers war abgesoffen, auf meinen Wangen hatte sich Nässe gesammelt – wahrscheinlich hatte ich geweint. Oder vor meinem Mund hatte sich Schaum gebildet – auch möglich, wenn man es genau bedachte.
Grundgütiger Himmel! Was um alles in der Welt war das gewesen?
Nur an das Ding zu denken brachte die Erinnerung in all ihren grässlichen Details, den ganzen Schrecken zurück. Ich kniff die Augen zusammen, klammerte mich ans Lenkrad, zitterte am ganzen Leib wie Espenlaub. Ich weiß nicht, wie lange ich brauchte, um mich von der Erinnerung zu befreien, aber als es mir gelungen war, war alles um mich herum, wie es gewesen war – nur lauter.
Die Stoppuhr lief. Ich konnte es mir nicht leisten, wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen zu werden, was die Bullen ganz sicher tun würden, wenn ich mich nicht bald mal wieder in Bewegung setzte. Das, oder ich fuhr den Wagen endgültig zu Schrott ...
Ich holte tief Luft, zwang meinen Willen, nicht an die Erscheinung zu denken ... und sah sie erneut.
Als ich zu mir kam, hatte ich mir die Zunge zerbissen, und meine Kehle fühlte sich an wie mit Sandpapier aufgeraut. Ich zitterte womöglich noch heftiger als
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