Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
der ich die Wolke zuletzt gesehen hatte. „Kein Licht machen!“
Aber meine Stimme war nur eine unter Hunderten, und mindestens ein Dutzend Magier reagierte genau so, wie Peabody und ich das vorausgeahnt hatten: Sie riefen als erstes mal Licht herbei.
Wodurch sie sich praktisch zu Zielscheiben machten.
Wolkenranken aus konzentriertem Tod zuckten peitschengleich durch die Luft, schlugen nach jeder Lichtquelle, bohrten sich in alle, die sich ihnen in den Weg stellten. Ich sah eine ältere Dame den rechten Arm ab dem Ellbogen einbüßen, als die morditgeladene Wolke einen Speer aus Dunkelheit auf einen zwei Reihen hinter ihr sitzenden Magier schleuderte. Ein dunkelhäutiger Mann mit baumelnden, goldenen Ohrringen versetzte der jungen Frau neben ihm, die Licht in den Kristall in ihrer Hand gerufen hatte, einen heftigen Schubs, woraufhin die auf die Frau gerichtete Ranke ihr Ziel verfehlte und statt dessen ihn selbst mitten in die Brust traf, wo sie ein Loch von zirka dreißig Zentimetern Durchmesser riss und seine Leiche dann noch, kaum lag sie am Boden, sauber in zwei Teile zerlegte.
Überall ertönten laute Schreie, Schmerzschreie, Angstschreie, Laute, die das menschliche Bewusstsein, der menschliche Körper, sofort erkannten und auf die sie reagierten, ob man es nun wollte oder nicht. Mir ging es genauso wie bei meiner ersten Begegnung mit dem mörderischen Mordit: Einerseits strebte jede Faser meines Körpers nur noch weg , gleichzeitig jedoch kletterte mein Adrenalinpegel in ungeahnte Höhen und verlangte, dass ich irgendetwas tat, dass ich den Schreienden half.
„Ruhig“ , sagte eine Stimme direkt an meinem rechten Ohr. Wie konnte das sein? Mein rechtes Ohr steckte unter einem dichten Verband, dort hörte ich beinahe nichts mehr. Niemand konnte es schaffen, physisch durch diesen Halbturban zu dringen.
Das konnte nur eins bedeuten: Die Stimme musste ein Trugbild sein. Ich hatte unterdessen auch erkannt, dass sie Langtry gehörte, dem Merlin.
„Ratsmitglieder, sofort auf den Boden“, fuhr die Stimme ruhig und offenbar durch nichts zu erschüttern fort. „Helfen Sie den Verletzten. Niemand darf Licht einsetzen, ehe wir den Geisternebel unter Kontrolle haben. An die Mitglieder des Ältestenrats: Ich habe mir den Nebel bereits vorgenommen und hindere ihn am weiteren Vordringen. Rashid, sorgen Sie dafür, dass er nicht gegen mich vorgeht und mich auflöst. Mai und Martha Liberty begeben sich an seine rechte Flanke, McCoy und Lauscht-dem-Wind an die linke. Der Nebel wirkt angriffslustig und entschlossen, wir dürfen nicht zaudern. Denken Sie daran, dass er sich auch nach oben bewegt.“
Ich gebe diesen Monolog in seiner ganzen Länge wieder. Ihn zu hören nahm, ich schwöre es, keine halbe Sekunde in Anspruch: Sprache, die mit der Geschwindigkeit von Gedanken in meinem Geist erklang. Ein vereinfachtes Bild des Sprachsaals auf dem ich deutlich erkennen konnte, wo sich der Nebel ausgebreitet hatte, begleitete die Rede des Merlins. Um diese Fläche waren Abschnitte markiert, die den Namen von Ältestenratsmitgliedern trugen, die sich um die jeweiligen Abschnitte kümmern und verhindern sollten, dass der Nebel sich dort weiter ausbreitete. Insgesamt entstand so das dreidimensionale Bild einer Kuppel.
Alle Achtung! Kaum anderthalb Sekunden waren vergangen, und der Merlin hatte es bereits geschafft, pures Chaos in eine geordnete Schlacht zu verwandeln. Gut, ich wusste schon, dass man nicht durch das Sammeln von Vielfliegermeilen zum Merlin des Weißen Rates wurde, doch ich hatte den Mann noch nie in Aktion erlebt .
„Wächter Dresden?“, sagte, dachte oder projizierte der Merlin. „Wenn Sie so gut sein würden, Peabody an der Flucht zu hindern? Wächter Thorsen und seine Kader sind auf dem Weg und werden Sie unterstützen, aber wir brauchen jemanden, der Peabody fesselt und an weiteren Missetaten hindert. Wir kennen noch nicht das gesamte Ausmaß seiner übersinnlichen Manipulationen, von daher sollten Sie keinem der jüngeren Wächter trauen.“
Ich liebte es, Magier zu sein: jeder Tag ein Tag Disneyland.
Als erstes befreite ich mich, schon auf dem Weg Richtung Ausgang, von meinem Umhang und der lächerlichen Robe plus Stola. Immer noch drängelte im Saal alles halbwegs panisch durcheinander, die drei oder vier Lichtquellen, die nicht gleich nach Merlins Worten wieder verloschen waren, geisterten als freischwebende Stroboskope umher. So zum Saalausgang zu gelangen hatte etwas leicht Surreales, aber ich war
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