Harry Potter und der Gefangene von Askaban
über den Rasen und zogen einen flachen Graben im glitzernden Pulverschnee; ihre Socken und Umhangsäume waren durchnässt und mit Eiskrusten übersät. Der Verbotene Wald kam ihnen vor, als wäre er verzaubert, alle Bäume glänzten silbern und Hagrids Hütte sah aus wie ein Stück glacierter Kuchen.
Ron klopfte, doch es kam keine Antwort.
»Er ist doch nicht etwa draußen?«, sagte Hermine, die unter ihrem Umhang bibberte.
Doch Ron presste bereits ein Ohr an die Tür.
»Da ist so ein komisches Geräusch«, sagte er. »Hört mal – ist das vielleicht Fang?«
Auch Harry und Hermine legten die Ohren an die Tür. Von drinnen hörten sie ein leises, bebendes Stöhnen.
»Meint ihr, wir sollten besser jemanden holen?«, sagte Ron nervös.
»Hagrid!«, rief Harry und hämmerte gegen die Tür. »Hagrid, bist du da?«
Sie hörten schwere Schritte, dann ging quietschend die Tür auf. Hagrid stand vor ihnen mit roten und verschwollenen Augen; Tränen liefen an seiner Lederweste herunter.
»Ihr habt also doch davon gehört!«, polterte er und warf sich jählings Harry um den Hals.
Bei Hagrid, der mindestens doppelt so groß war wie ein normaler Mensch, war dies nicht zum Lachen. Schon knickte Harry unter Hagrids Last ein. Ron und Hermine kamen zu seiner Rettung, packten Hagrid an den Armen und hievten ihn mit Harrys Hilfe zurück in die Hütte. Hagrid ließ es zu, dass sie ihn zu einem Stuhl bugsierten. Er sackte über dem Tisch zusammen und fing haltlos an zu schluchzen; sein Gesicht glitzerte von Tränen, die auf seinen krausen Bart tropften.
»Hagrid, was ist denn los?«, fragte Hermine vollkommen baff.
Erst jetzt bemerkte Harry einen amtlich wirkenden Brief aufgefaltet auf dem Tisch liegen.
»Was ist das, Hagrid?«
Hagrid begann noch heftiger zu schluchzen, doch er schob Harry den Brief zu. Der hob ihn hoch und las vor:
Sehr geehrter Mr Hagrid,
im Zuge unserer Untersuchung des Angriffs eines Hippogreifs auf einen Schüler in Ihrem Unterricht vertrauen wir der Versicherung Professor Dumbledores, dass Sie für den bedauerlichen Zwischenfall keine Verantwortung tragen.
»Na also, Hagrid, ist doch gut!«, sagte Ron und klatschte Hagrid auf die Schulter. Doch Hagrid schluchzte nur und mit seiner Riesenpranke gestikulierend bedeutete er Harry, den Brief weiterzulesen.
Allerdings müssen wir unsere Besorgnis über den fraglichen Hippogreif zum Ausdruck bringen. Wir haben beschlossen, die offizielle Beschwerde von Mr Lucius Malfoy zu unterstützen, und übergeben die Angelegenheit daher dem Ausschuss für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe. Die Anhörung findet am 20. April statt und wir bitten Sie, sich an diesem Tag mit Ihrem Hippogreif in den Amtsräumen des Ausschusses in London einzufinden. In der Zwischenzeit muss der Hippogreif von den anderen Tieren abgesondert und angebunden werden.
Mit kollegialen Grüßen …
Es folgte eine Liste der Schulbeiräte.
»Oh«, sagte Ron. »Aber du hast gesagt, Seidenschnabel ist kein schlechter Hippogreif, Hagrid. Ich wette, er kommt davon –«
»Du kennst diese Widerlinge in diesem Ausschuss nicht!«, würgte Hagrid hervor und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel. »Die haben’s auf interessante Geschöpfe abgesehen!«
Ein plötzliches Geräusch von hinten ließ Harry, Ron und Hermine herumfahren. Seidenschnabel, der Hippogreif, lag in einer Ecke der Hütte und hackte auf etwas herum, aus dem Blut über den ganzen Boden sickerte.
»Ich konnte ihn doch nicht angebunden draußen im Schnee lassen«, schluchzte Hagrid. »Ganz alleine! Und an Weihnachten!«
Harry, Ron und Hermine sahen sich an. Sie hatten mit Hagrid nie ernsthaft über die »interessanten Geschöpfe« gesprochen, wie er sie nannte, während andere Leute von »schrecklichen Monstern« sprachen. Andererseits schien von Seidenschnabel keine besondere Gefahr auszugehen. Und wenn sie an Hagrids andere Monster dachten, wirkte er sogar ganz niedlich.
»Du musst dir eine gute und starke Verteidigung einfallen lassen, Hagrid«, sagte Hermine, während sie sich setzte und die Hand auf Hagrids massigen Unterarm legte. »Ich bin sicher, du kannst beweisen, dass Seidenschnabel ganz harmlos ist.«
»Das macht auch kein’ Unterschied«, jammerte Hagrid. »Diese Teufel vom Beseitigungsausschuss, die hat Lucius Malfoy doch alle in der Tasche! Haben Angst vor ihm! Und wenn ich bei der Anhörung verliere, wird Seidenschnabel –«
Hagrid fuhr flink mit dem Finger über seinen Hals, dann brach er in
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