Harry Potter und der Halbblutprinz
gewusst, dass es keine Hoffnung mehr gab, schon von dem Moment an, als der Körperklammer-Fluch, mit dem Dumbledore ihn belegt hatte, von ihm abgefallen war, er hatte gewusst, dass dies nur geschehen konnte, weil der Urheber des Fluchs tot war; trotzdem war er nicht darauf vorbereitet, ihn hier zu sehen, Arme und Beine von sich gestreckt und gebrochen: den größten Zauberer, den Harry je gekannt hatte und je kennen würde.
Dumbledores Augen waren geschlossen; wenn nicht seine Arme und Beine seltsam abgewinkelt gewesen wären, hätte man meinen können, er schliefe. Harry streckte die Hand aus, rückte die Halbmondbrille auf der Hakennase gerade und wischte mit seinem Ärmel Blutstropfen von Dumbledores Mund. Dann blickte er hinunter auf das weise alte Gesicht und versuchte die ungeheuerliche und unfassbare Wahrheit in sich aufzunehmen: dass Dumbledore nie wieder mit ihm sprechen würde, ihm nie wieder würde helfen können …
Die Menge hinter Harry murmelte. Nach einer langen Zeit, wie es ihm vorkam, bemerkte er, dass er auf etwas Hartem kniete, und sah hinab.
Das Medaillon, das sie vor so vielen Stunden hatten stehlen können, war aus Dumbledores Tasche gefallen. Es hatte sich geöffnet, vielleicht durch die Wucht des Aufpralls. Und obwohl Harry nicht noch mehr Entsetzen und Grauen und Trauer empfinden konnte, als er es schon tat, wusste er, als er das Medaillon aufhob, dass etwas nicht stimmte …
Er drehte das Medaillon in den Händen. Es war weder so groß wie das Medaillon, das er im Denkarium gesehen hatte, noch befanden sich irgendwelche Zeichen darauf, keine Spur von dem reich verzierten S, das angeblich Slytherins Symbol war. Außerdem war nichts darin, nur ein zusammengefalteter Fetzen Pergament, an der Stelle festgeklemmt, die für ein Porträt vorgesehen war.
Automatisch, ohne recht darüber nachzudenken, was er tat, zog Harry das Stück Pergament heraus, faltete es auseinander und las es im Licht der vielen Zauberstäbe, die inzwischen hinter ihm entzündet worden waren:
An den Dunklen Lord
Ich weiß, ich werde tot sein, lange bevor du dies liest, aber ich will, dass du weißt, dass ich es war, der dein Geheimnis entdeckt hat.
Ich habe den echten Horkrux gestohlen und ich will ihn zerstören, sobald ich kann.
Ich sehe dem Tod entgegen in der Hoffnung, dass du, wenn du deinen Meister findest, erneut sterblich sein wirst.
R. A. B.
Harry wusste weder, was diese Botschaft bedeutete, noch kümmerte es ihn. Nur eins war wichtig: Dies war kein Horkrux. Dumbledore hatte sich selbst geschwächt, indem er diesen schrecklichen Zaubertrank getrunken hatte, doch es war vergeblich gewesen. Harry zerknüllte das Pergament in der Hand, und in seinen Augen brannten Tränen, als hinter ihm Fang zu heulen begann.
Die Klage des Phönix
»Komm her, Harry …«
»Nein.«
»Du kannst nich hierbleiben, Harry … nun komm schon …«
»Nein.«
Er wollte nicht von Dumbledores Seite weichen, er wollte nirgendwo hingehen. Hagrids Hand auf seiner Schulter bebte. Dann sagte eine andere Stimme: »Harry, komm mit.«
Eine viel kleinere und wärmere Hand hatte sich um seine geschlossen und zog ihn hoch. Er gehorchte ihrem Druck, ohne weiter darüber nachzudenken. Erst als er blind zurück durch die Menge ging, erkannte er an dem Hauch eines Blumendufts, der in der Luft lag, dass es Ginny war, die ihn zurück ins Schloss führte. Unverständliche Stimmen redeten auf ihn ein, Schluchzer und Rufe und Klagen drangen durch die Nacht, aber Harry und Ginny gingen weiter, die Stufen hinauf und zurück in die Eingangshalle: Während sie auf die Marmortreppe zugingen, nahm Harry ganz am Rande Gesichter wahr, die an ihm vorbeischwammen, Leute starrten ihn an, flüsterten, stellten einander Fragen, und Gryffindor-Rubine glitzerten auf dem Boden wie Blutstropfen.
»Wir gehen in den Krankenflügel«, sagte Ginny.
»Ich bin nicht verletzt«, erwiderte Harry.
»Das ist McGonagalls Anweisung«, sagte Ginny. »Alle sind dort oben, Ron und Hermine und Lupin und alle –«
Von neuem regte sich Furcht in Harrys Brust: Jetzt erst fielen ihm die reglosen Gestalten wieder ein, die er hinter sich gelassen hatte.
»Ginny, wer ist sonst noch tot?«
»Keine Sorge, niemand von uns.«
»Aber das Dunkle Mal – Malfoy sagte, er sei über eine Leiche gestiegen –«
»Er ist über Bill gestiegen, aber keine Angst, er ist am Leben.«
Doch etwas in ihrer Stimme, das spürte Harry, ließ nichts Gutes ahnen.
»Bist du
Weitere Kostenlose Bücher