Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
natürlich verstehen. Sobald wir oben im Zimmer waren, schickte die Schlange eine Botschaft an Du-weißt-schon-wen, ich hab es in meinem Kopf gehört, ich hab gespürt, wie es ihn erregte, er wies sie an, mich dort aufzuhalten … und dann …«
Er erinnerte sich, wie die Schlange aus Bathildas Hals gekrochen war: Die Einzelheiten konnte er Hermine ersparen.
»… sie hat sich verwandelt, in die Schlange verwandelt, und angegriffen.«
Er blickte auf die Bissspuren hinunter.
»Sie sollte mich nicht töten, sollte mich nur dort aufhalten, bis Du-weißt-schon-wer da war.«
Wenn er es nur geschafft hätte, die Schlange zu töten, dann hätte es sich gelohnt, all das … Todunglücklich setzte er sich auf und warf die Decken zurück.
»Harry, nein, du musst dich unbedingt ausruhen!«
»Wenn hier jemand Schlaf braucht, dann du. Nichts für ungut, aber du siehst furchtbar aus. Mir geht es gut. Ich halt eine Zeit lang Wache. Wo ist mein Zauberstab?«
Sie antwortete nicht, sie schaute ihn nur an.
»Wo ist mein Zauberstab, Hermine?«
Sie biss sich auf die Lippe, ihre Augen schwammen in Tränen.
»Harry …«
»Wo ist mein Zauberstab?«
Sie hob etwas neben dem Bett auf und hielt es ihm hin.
Der Zauberstab aus Stechpalme und Phönixfeder war fast entzweigerissen. Nur ein zarter Strang aus Phönixfeder hielt beide Teile noch zusammen. Das Holz war ganz auseinandergesplittert. Harry nahm ihn in die Hände, als wäre er ein Lebewesen, das eine schreckliche Verletzung erlitten hatte. Er konnte nicht klar denken: Alles war ein Nebel aus Panik und Furcht. Dann hielt er Hermine den Zauberstab hin.
»Reparier ihn. Bitte.«
»Harry, wenn er so zerbrochen ist, glaub ich nicht –«
»Bitte, Hermine, versuch es!«
»R-reparo.«
Die herabbaumelnde Hälfte des Zauberstabs fügte sich wieder an die andere. Harry hielt ihn empor.
»Lumos!«
Der Zauberstab entzündete sich schwach und erlosch dann. Harry richtete ihn auf Hermine.
»Expelliarmus!«
Hermines Zauberstab zuckte ein wenig, blieb aber in ihrer Hand. Der schwache Versuch, Magie hervorzubringen, war zu viel für Harrys Zauberstab, und er brach wieder entzwei. Harry starrte ihn an, entgeistert, unfähig zu begreifen, was er da sah … der Zauberstab, der so viel überstanden hatte …
»Harry«, flüsterte Hermine so leise, dass er sie kaum hören konnte. »Es tut mir leid, so leid. Ich glaube, das war ich. Als wir geflohen sind, weißt du, ging die Schlange auf uns los, und da hab ich einen Sprengfluch abgefeuert, und der ist überall abgeprallt, und er muss – muss ihn getroffen –«
»Es war ein Unfall«, sagte Harry mechanisch. Er fühlte sich leer, geschockt. »Wir – wir kriegen schon raus, wie man ihn richten kann.«
»Harry, ich glaub nicht, dass wir das können«, sagte Hermine und Tränen rannen ihr übers Gesicht. »Weißt du noch … weißt du noch, wie es bei Ron war? Als sein Zauberstab zu Bruch ging, beim Absturz des Autos? Der war nie mehr, wie er vorher mal war, er musste sich einen neuen besorgen.«
Harry dachte an Ollivander, von Voldemort entführt und als Geisel festgehalten, an Gregorowitsch, der tot war. Wie sollte er sich einen neuen Zauberstab beschaffen?
»Na gut«, sagte er mit gespielt nüchterner Stimme, »dann leih ich mir fürs Erste einfach mal deinen aus. Während ich Wache halte.«
Mit tränennassem Gesicht reichte Hermine ihm ihren Zauberstab, und er ließ sie an seinem Bett sitzend zurück, wollte nichts wie weg von ihr.
Leben und Lügen des Albus Dumbledore
Die Sonne ging auf: Klar und farblos erstreckte sich der weite Himmel über ihm, gleichgültig gegen ihn und sein Leid. Harry setzte sich in den Zelteingang und atmete tief die saubere Luft ein. Einfach nur am Leben zu sein und die Sonne über dem glitzernden, verschneiten Hang aufgehen zu sehen, sollte eigentlich der größte Schatz auf Erden sein, doch er konnte es nicht genießen: Seine Sinne waren in Aufruhr über das Unglück, seinen Zauberstab verloren zu haben. Er blickte hinaus über ein Tal, das unter einer Schneedecke lag, ferne Kirchenglocken läuteten in der glitzernden Stille.
Unwillkürlich grub er sich die Finger in die Arme, als ob er versuchte, einem körperlichen Schmerz standzuhalten. Er konnte nicht mehr sagen, wie oft er sein Blut schon vergossen hatte; einmal hatte er alle Knochen seines rechten Arms verloren; auf dieser Reise hatte er sich bereits Narben an der Brust und am Unterarm zugezogen, die noch zu denen auf seiner Hand und Stirn
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