Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
gemeinsam schritten sie zwischen den alten, dicht wachsenden Bäumen hindurch, mit den ineinandergeschlungenen Ästen, den knorrigen und verflochtenen Wurzeln am Boden. Harry raffte den Tarnumhang in der Dunkelheit eng an sich und begab sich immer tiefer in den Wald hinein, ohne eine Vorstellung davon, wo Voldemort genau war, doch sicher, dass er ihn finden würde. Neben ihm gingen, fast lautlos, James, Sirius, Lupin und Lily, und ihre Anwesenheit machte seinen Mut aus und war der Grund dafür, dass er unaufhörlich einen Fuß vor den anderen setzen konnte.
Sein Körper und sein Geist schienen jetzt auf merkwürdige Weise voneinander getrennt, seine Gliedmaßen bewegten sich ohne bewusste Anweisung, als wäre er ein Mitreisender und nicht der Lenkende in dem Körper, den er gleich verlassen würde. Die Toten, die neben ihm durch den Wald gingen, waren nun viel wirklicher für ihn als die Lebenden drüben im Schloss: Ron, Hermine, Ginny und all die anderen waren diejenigen, die ihm wie Gespenster vorkamen, während er dem Ende seines Lebens entgegenstolperte und -schlitterte, Voldemort entgegen …
Ein dumpfer Schlag und ein Flüstern: Ganz in der Nähe hatte sich ein anderes Lebewesen gerührt. Harry blieb unter dem Tarnumhang verborgen stehen und spähte lauschend umher, und auch seine Mutter und sein Vater, Lupin und Sirius blieben stehen.
»Da ist jemand«, kam ein raues Flüstern von irgendwo dicht bei ihnen. »Er hat einen Tarnumhang. Könnte das –?«
Zwei Gestalten kamen hinter einem nahen Baum hervor: Ihre Zauberstäbe flammten auf, und Harry sah Yaxley und Dolohow in die Dunkelheit starren, direkt zu der Stelle, wo Harry, seine Eltern, Sirius und Lupin standen. Offenbar konnten sie nichts erkennen.
»Hab eindeutig was gehört«, sagte Yaxley. »’n Tier, was meinst du?«
»Dieser Schwachkopf Hagrid hat eine ganze Horde von Viechern hier drin gehalten«, sagte Dolohow und blickte kurz über seine Schulter.
Yaxley sah hinunter auf seine Uhr.
»Die Zeit ist fast um. Potter hat seine Stunde gehabt. Er kommt nicht.«
»Und er war sicher, dass er kommen würde! Das wird ihm gar nicht gefallen.«
»Besser, wir gehn zurück«, sagte Yaxley. »Hören, was jetzt geplant ist.«
Er und Dolohow wandten sich ab und gingen tiefer in den Wald hinein. Harry folgte ihnen, denn er wusste, dass sie ihn genau dorthin führen würden, wo er hinwollte. Als er einen Blick zur Seite warf, lächelte ihm seine Mutter zu, und sein Vater nickte ermutigend.
Sie waren nur ein paar Minuten weitergegangen, da sah Harry vor sich ein Licht, und Yaxley und Dolohow traten auf eine Lichtung, die Harry als den Ort erkannte, wo der grässliche Aragog einst gelebt hatte. Die Überreste seines riesigen Netzes waren noch da, doch der Schwarm von Nachkommen, die er in die Welt gesetzt hatte, war von den Todessern hinausgetrieben worden, um für ihre Sache zu kämpfen.
Inmitten der Lichtung brannte ein Feuer, dessen flackernder Schein auf eine dichte Menge vollkommen stummer, wachsamer Todesser fiel. Manche von ihnen waren nach wie vor maskiert und hatten Kapuzen auf, andere zeigten ihre Gesichter. Zwei Riesen saßen am Rand der Gruppe, mit grausamen Gesichtern, klobig wie Felsen, und warfen gewaltige Schatten über die Szenerie. Harry erkannte Fenrir, der lauernd an seinen langen Nägeln kaute; der große blonde Rowle betupfte seine blutende Lippe. Er sah Lucius Malfoy, der niedergeschlagen und verängstigt wirkte, und Narzissa, die Augen voller Argwohn tief in ihren Höhlen.
Alle Blicke waren auf Voldemort gerichtet, der mit geneigtem Kopf dastand und seine weißen Hände über dem Elderstab vor sich gefaltet hatte. Es war, als würde er beten oder stumm vor sich hin zählen, und Harry, der unbeweglich am Rand des Schauplatzes stand, hatte den absurden Gedanken an ein Kind, das beim Versteckspielen zählt, bis es suchen darf. Hinter Voldemorts Kopf schwebte, sich immer noch ringelnd und windend, die große Schlange Nagini in ihrem glitzernden magischen Käfig, wie ein ungeheuerlicher Glorienschein.
Als Dolohow und Yaxley sich wieder zu dem Kreis gesellten, blickte Voldemort auf.
»Keine Spur von ihm, Herr«, sagte Dolohow.
Voldemorts Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Die roten Augen schienen im Licht des Feuers zu glühen. Langsam zog er den Elderstab zwischen seinen langen Fingern hervor.
»Herr –«
Bellatrix hatte gesprochen: Sie saß Voldemort am nächsten, mit zerzaustem Haar, das Gesicht ein wenig blutig, doch
Weitere Kostenlose Bücher