Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
ja!«, sagte Dumbledore. »Ja, er hat ihn zerstört. Deine Seele ist ganz, und ganz deine eigene, Harry.«
»Aber dann …«
Harry blickte über seine Schulter, dorthin, wo das kleine verstümmelte Wesen unter dem Stuhl zitterte.
»Was ist das, Professor?«
»Etwas, dem wir beide nicht helfen können«, sagte Dumbledore.
»Aber wenn Voldemort den Todesfluch eingesetzt hat«, begann Harry erneut, »und diesmal niemand für mich gestorben ist – wie kann ich dann am Leben sein?«
»Ich glaube, du weißt es«, sagte Dumbledore. »Denk zurück. Erinnere dich an das, was er getan hat, in seiner Unwissenheit, in seiner Gier und seiner Grausamkeit.«
Harry dachte nach. Er ließ den Blick über seine Umgebung schweifen. Wenn es tatsächlich ein Palast war, in dem sie saßen, dann war es ein merkwürdiger, mit Stühlen, die in kurzen Reihen aufgestellt waren, und hie und da einem Stück Geländer, und doch waren er und Dumbledore und das verkümmerte Geschöpf unter dem Stuhl die einzigen Lebewesen hier. Dann kam ihm die Antwort leicht und mühelos über die Lippen.
»Er hat Blut von mir genommen«, sagte Harry.
»Genau!«, sagte Dumbledore. »Er hat Blut von dir genommen und seinen lebenden Körper damit neu erschaffen! Dein Blut in seinen Adern, Harry, Lilys Schutz in euch beiden! Er hat dich ans Leben gebunden, solange er lebt!«
»Ich lebe … solange er lebt? Aber ich dachte … ich dachte, es war umgekehrt! Ich dachte, wir müssten beide sterben? Oder ist das dasselbe?«
Er war abgelenkt von dem Wimmern und Patschen des gequälten Geschöpfes hinter ihnen und warf erneut einen Blick darauf.
»Sind Sie sicher, dass wir nichts tun können?«
»Es gibt keine Hilfe.«
»Dann erklären Sie … mehr«, sagte Harry und Dumbledore lächelte.
»Du warst der siebte Horkrux, Harry, der Horkrux, den er nie erzeugen wollte. Er hatte seine Seele so instabil gemacht, dass sie zerbrach, als er diese unsagbar bösen Taten beging, den Mord an deinen Eltern, die versuchte Tötung eines Kindes. Aber was aus jenem Zimmer floh, war sogar noch weniger, als er wusste. Er ließ mehr zurück als seinen Körper. Er ließ einen Teil von sich selbst zurück, an dich festgeklammert, an das ausersehene Opfer, das überlebt hatte.
Und sein Wissen blieb weiterhin jämmerlich unvollständig, Harry! Wenn etwas für Voldemort nicht wertvoll ist, macht er sich auch nicht die Mühe, es zu begreifen. Von Hauselfen und Kindermärchen, von Liebe, Treue und Unschuld weiß und versteht Voldemort nichts. Nichts. Dass sie alle eine Macht haben, die seine eigene übertrifft, eine Macht, die weiter reicht als jede Magie, das ist eine Wahrheit, die er nie erfasst hat.
Er nahm Blut von dir in dem Glauben, dass es ihn stärken würde. Er nahm einen winzigen Teil jenes Zaubers in seinen Körper auf, den deine Mutter auf dich legte, als sie für dich starb. Voldemorts Körper hält ihr Opfer lebendig, und solange dieser Zauber überlebt, überlebst auch du, und damit Voldemorts letzte Hoffnung für sich selbst.«
Dumbledore lächelte Harry zu und Harry starrte ihn an.
»Und Sie wussten das? Sie wussten das – die ganze Zeit?«
»Ich habe es vermutet. Aber meine Vermutungen erwiesen sich meistens als richtig«, sagte Dumbledore zufrieden, und sie saßen schweigend da, eine ganze Weile, wie es schien, während das Geschöpf hinter ihnen weiter wimmerte und zitterte.
»Da ist noch etwas«, sagte Harry. »Das ist noch nicht alles. Warum hat mein Zauberstab den Zauberstab zerbrochen, den er sich ausgeliehen hat?«
»Was das betrifft, bin ich mir nicht sicher.«
»Dann vermuten Sie mal«, sagte Harry und Dumbledore lachte.
»Du musst dir klarmachen, Harry, dass du und Lord Voldemort gemeinsam in Bereiche der Magie vorgestoßen seid, die bislang noch unbekannt und unerprobt waren. Aber Folgendes ist, denke ich, passiert, und es ist beispiellos, und kein Zauberstabmacher hätte es Voldemort wohl je vorhersagen oder erklären können.
Ohne es zu beabsichtigen, wie du jetzt weißt, hat Lord Voldemort, als er wieder in eine menschliche Gestalt zurückkehrte, das Band zwischen euch verdoppelt. Ein Teil seiner Seele war nach wie vor an deine geheftet, und während er glaubte, dass er sich stärkte, nahm er auch einen Teil des Opfers deiner Mutter in sich auf. Wenn er doch nur die schreckliche Macht dieses Opfers genau verstanden hätte, dann hätte er es vielleicht nicht gewagt, dein Blut anzurühren … aber andererseits, wenn er in der Lage gewesen wäre
Weitere Kostenlose Bücher