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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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sie Haken um Zacken die Narbe in meinem Gesicht. So was musste ihresgleichen erst mühsam im Pearcingstudio ritzen und pfeffern lassen, und dann sah es doch nie so antik aus.
    »Geht ihr ins PHG?«, erkundigte ich mich. »Ich suche Steffi Bach und Marko Vasiljevic.«
    Der Punk hob streitlustig das Kinn. Er hatte ein verzweifelt sensibles Gesicht, aufgezogen auf dem Schädel eines prinzipienstrengen Vaters.
    »Oder wisst ihr was über Marquardts Tod?«, fuhr ich fort.
    »Das waren die Faschos«, sagte der Punk. »Marquardt war ein linker Pfosten.«
    »Was heißt das?«
    »Font einen zu und rastet aus, wenn man peilt, dass alles nur Masche ist, um uns anzufummeln. Hat die Hand auf deiner Schulter und sagt, dein Problem lösen wir gemeinsam. Dann schleimt er zum Direx und plädiert für Schulausschluss. Sind Sie von der Bildzeitung? Worauf steht ihr? Ich weiß schon: Die gute alte Ohrfeige ist out, Kinderfick ist in. Na, wollen wir dieser Gesichtsfünf den Keller zeigen, wo der Jürgen mit den kleinen Jungs geparkt hat? Der stand nämlich auf Jungs. Sie auch?«
    Ich war überfordert.
    »Du bist doch voll behindert!«, keifte ihn das Mädchen an, das mich wegen meiner Narbe anschmachtete. »Marquardt konnte nichts dafür, dass dein Freund Wolle sich den goldenen Schuss gesetzt hat.«
    Der Punk sprang auf. »Drogensüchtigen«, rezitierte er, »kann man nur helfen, wenn man sie völlig isoliert. Der Leidensdruck muss so groß sein, dass er freiwillig einen Entzug macht. Deshalb muss man jeden Kontakt zu ihm abbrechen, auch der beste Freund. Nur dass sich Wolle nichts eingebaut hat, rein gar nichts!«
    Der Wirt schob seinen Bauch heran, besorgt, dass der Punk ihm auskommen könnte, ohne zu zahlen. Die Schwarzen begannen, Münzen aus ihren Geldbeuteln zu kramen, während der Punk Schmähreden aus seiner schmalen Lunge pumpte, bis ihn die Cavelady anschrie: »Nu schalt mal ab, Fickfehler!«
    Der Junge drehte sich auf dem Absatz um und stolper te zur Tür hinaus. Ich dachte an die Faschos draußen und stürzte hinterher. Mit zitterndem Haarkamm und in knöchellangem Schottenrock stand das Kerlchen auf den Stufen, Auge in Auge mit den drei Gehsteigpanzern, und lachte. »Deutschland erwache. Hoch die Fäuste, ihr Af fenarschficker.«
    Die Faschos warfen die Zigaretten weg und machten sich breit. Die restlichen Gothics erschienen in der Tür. Damit war die Schlacht entschieden, ehe sie begonnen hatte. Es galt das einfache Prinzip acht gegen drei, und die Truppenentflechtung ging blitzschnell. Die Grufties schleppten Fickfehler mit sich, der verbal noch immer unter die Gürtellinie zielte, und verflüchtigten sich in der Dunkelheit.
    Ich fand mich unversehens an einer Leihbücherei wieder, hinter der ein Park begann, der struppig und finster den Übergang in die sibirische Tundra machte. Ein eingefrorener Sandspielplatz mit vereisten Mutterbänken war das letzte Zeichen der Zivilisation. Dann irrte ich über eine schneebestäubte knüppelharte Wiese, deren Erdreich vermutlich auch im Hochsommer nur wenige Zentimeter tief auftaute. Nach fünf Tagen Wanderung leuchtete in der Ferne ein Licht. Eine Straßenlaterne. Doch ein Dickicht versperrte den Weg. Ich vernahm Stimmen. Hinter einem Busch glühten Zigaretten auf. Fünf Youngsters hockten auf der Lehne einer Bank neben einem Sandkasten. Ich erkannte Marko und Steffi. Unter Markos Jacke läppte das Holzfällerhemd hervor. Steffi bibberte im viel zu dünnen Nike-Jäckchen. Neben ihr saß nabel- und nierenfrei die dicke Brünette mit viel zu leichten, aber geburtstagsgeschenkneuen Chucks an den Füßen. Außerdem waren da noch ein hohlwangiger, pickliger Typ in Skaterhüfthosen und ein Milchbubi, dem wohl die Mutter noch die No-Name-Jeans kaufte.
    »Hi«, sagte ich. »Habt ihr mal Feuer?«
    Marko glitt von der Banklehne und ließ die Flamme so dicht vor meiner Nase springen, dass ich zurückfuhr. Die Mädels kicherten.
    »Okay, okay«, sagte ich und fragte mich, warum Erwachsene immer glaubten, dem Slang der Kinder entgegenkommen zu müssen. Verblüfft stellte ich fest, dass ich mich erstmals als Erwachsene sah. »Okay. Ich bin nicht von der Polizei. Ich bin keine Lehrerin und nicht eure Eltern. Trotzdem bin ich nicht wie ihr. Ich bin ein Marsmensch, auch wenn ich nicht grün bin.«
    Marko zeigte seine Zahnlücken. Steffi raffte die Kunststoffjacke. Die Dicke drehte an den Ringen.
    »Auf dem Mars schwitzt man im Winter und friert im Sommer. Nachts trägt man Sonnenbrillen, und die

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