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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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über meine Identität beschert. Nur eines war sicher: Der weibliche Körper ist für Hosen ohnehin viel besser gebaut als der männliche. Und zu meiner Nar be konnte ich sogar zum dunkelroten Schlips rosa Hemden tragen, ohne dass Zweifel an meiner Männlichkeit aufkamen. Ein schwerer dunkelblauer Mantel mit Schulterklappen tat den Rest.
    Ich fuhr mit der U-Bahn bis Charlottenplatz und stieg ins Bohnenviertel hinauf. In den Altstadtgassen kümmerten Designerboutiquen, Antiquitätenhändler und Nobelkneipen gleich neben dem Junkiestrich. Der Taube Spitz lag an der Grenze und gab sich als schwäbisches Weinlokal mit den besten Maultaschen der Stadt. Ich zwang eine Frau, die mir entgegenkam, allein mit meinem Blick dazu, mir aufs Straßenpflaster auszuweichen. Das funktionierte immer.
    Neun war noch keine Zeit für den Tauben Spitz. Die Kulturelite kam erst, wenn die Versicherungskaufleute die Stammtische geräumt hatten. Hinterm Tresen wirtschaftete Sally. Sie winkte mir vom Zapfhahn aus zu. Eine weitere Bedienung gab soeben den Blick auf einen Tisch in der Ecke neben der Tür frei. Dort saßen Richard Weber und – mit dem Rücken zu mir – Isolde Ringolf. Servietten und Besteck waren bereits vom Holztisch verschwunden. Sie plauderten schon beim Viertele, zumindest sie, denn Richard hatte ein bierfarbenes Getränk vor sich stehen. Er grüßte mich so diskret, dass Isolde nichts merkte.
    »Hi«, sagte Sally. »Dein Staatsanwalt wartet schon seit Stunden. Er hat schon sein zweites ›Sie wissen schon‹ bestellt. Ist was?«
    »Nö.«
    »Pass nur auf. Die Tussi geht voll ran.« Sally grinste und zog mit einem Tablett voller Wein- und Biergläser ab in die Stube. Sie hatte eine zuweilen peinliche Art, mein Schicksal in die Hand zu nehmen. Sie fühlte sich dazu berechtigt, seitdem sie mir das Leben gerettet hatte, als ich im Krankenhaus nach meinem Unfall unter einem Medikamentenschock abzuschaffen drohte.
    »Schick siehst du aus«, sagte sie, als sie zurückkam. »Wie findest du meine Haare? Ich habe ein neues Mittel. Ich sage nur: Phytologie. Fass mal an. Die Leute sollen ruhig sehen, was für einen tollen Kerl ich habe.« Sie puffte ihre goldenen Locken auf. Das Geld, das sie für Haarpflege, Düfte, Make-up, Massagen und Pediküre ausgab, verdiente sie sich in drei Jobs zusammen. Daheim fütterte sie drei Katzen und eine altersschwache Schäferhündin. Ich war ein fester Bestandteil ihrer Menagerie, wenn auch ihre Heterosexualität über jeden Zweifel erhaben war.
    »Nun geh schon«, sagte sie und gab mir einen Schubs. »Wie soll er denn diese Schnepfe loswerden, wenn du ihm nicht hilfst. Ich bring dir die Maultaschen.«
    Auftritt Lisa Nerz.
    Richard erhob sich höflich. Isolde drehte sich nichtsahnend um, verschob die Lippenstiftlippen zu einem spöttischen Lächeln und sagte mit gewissem Timbre: »Guten Abend.«
    »Das war wohl nichts mit der Oper«, bemerkte ich.
    »Kurt hatte leider noch im Geschäft zu tun. Aber Herr Dr. Weber war so freundlich, sich meiner anzunehmen, als ich auf dem Parkplatz stand wie bestellt und nicht abgeholt.«
    Ihre Augen grübelten Knöpfe zählend an meinem dunkelblauen Dreiteiler herum. Richards milchkaffeebrauner Blick war dagegen gespickt mit Warnungen, die da lauteten: Halt bloß die Klappe!
    Isolde übernahm die Konversation: »Vor zehn Jahren war ich das letzte Mal im Tauben Spitz. Ich bin ja gleich nach dem Abitur aus Stuttgart weg nach München. Wo haben Sie studiert?«
    »Die Wahrheit ist«, sagte ich, »ich habe überhaupt nicht studiert. Ich versuche zwar, meine Minderwertigkeitskomplexe im Zaum zu halten, aber es gelingt mir nur selten.«
    »Oh! Ich dachte, ein Volontariat bekommt man nur mit abgeschlossenem Hochschulstudium.«
    »Ich habe auch kein Volontariat gemacht. Und ich ko kettiere damit, dass ich nicht mal Abitur habe. Dafür ha be ich eine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin und drei Jahre Berufserfahrung. Außerdem hatte ich den richtigen Liebhaber.«
    »Ah!«
    Sally kam mit dem Teller. »Einmal Maultaschen in der Brüh’ für den Herrn. Was darf ich zum Trinken bringen?«
    »Ein Pils.«
    »’n guten«, sagte Isolde. »Bei uns daheim gab’s Maultaschen immer freitags, mit viel Grün drin, damit der Herrgott nicht sieht, dass man Fleisch isst. Sie sind nicht von hier, oder?«
    »Doch. Ich komme aus Vingen an der Schwäbischen Alb.«
    »Ach, ich dachte nur, weil Sie koi Schwäbisch schwätze.«
    »I ka’s scho au, wenn es sein muss. Außerdem spreche ich

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