Harte Schule
Erzeugerfraktion geht bei den Kids in die Schule. Aber ich hatte keine Lust, mir von Kindern was sagen zu lassen, also bin ich auf die Erde. Hier haben Kinder nichts zu melden.«
Ich schämte mich, weil ich den Teens Märchen erzähl te. Aber der Umgangsmodus zwischen sehr jung und nicht mehr ganz jung war alles andere als geklärt. Ihr Schweigen machte uns überheblich.
»Das wollte ich nur sagen.«
»Porno!«, bemerkte Steffi anerkennend.
»Du bist Steffi Bach, nicht wahr?« Trotz bester Vorsätze gelang es mir nicht, sie zu siezen.
»Und?«
»Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Dann kennst du sie ja jetzt«, sagte Marko und rückte breitschultrig vor.
»Und tschüs!«, sagte die Dicke.
»He, Moment mal«, fuhr Steffi auf. »Ich kann reden, mit wem ich will. Woher wissen Sie überhaupt, wie ich heiße?«
»Aus dem Zeitungsbericht über eure Theateraufführung.«
»Also dann.« Sie reichte mir mit frischem Blick eine gefriergetrocknete Hand. »Und der da, das ist Marko, der ist fett die Evolutionsbremse. Und das ist Birte …«
Markos Hand kam aus der Jackentasche und war warm. An Birtes Händchen war jeder Ring ein eisiger Nadelstich. Der picklige Skater mit Hüfthose hieß Jöran und hatte in seiner Hand mehr Kraft, als man ihm ansah. Der Milchbubi dagegen besaß statt der Hand einen nas sen Waschlappen.
»Was sollte das eigentlich heute Morgen in der Schule werden?«, fragte Steffi nun. »Warum sollten wir nichts sagen?«
»Es gibt solche und solche Journalistinnen.«
Birte starrte offenen Mündchens.
»Genauso wie es solche und solche Lehrer gibt. Zum Beispiel Marquardt.«
»Der Jürgen«, sagte Steffi, »war voll okay, ich schwör.«
»Und trotzdem habt ihr sein Theaterstück geschmissen.«
»Klar, das war voll übel. Aber da war diese Evoluti onsbremse dran schuld.«
Marko versenkte das Kinn im Jackenkragen. »Das verstehst du nicht.«
»Ich bin zwar blond, aber wenn du langsam redest …«
» Ihr habt doch den Jürgen angezeigt, nicht ich!«
»Ich doch nicht!«, keifte Steffi. »Das war die Birte. Ich schwör. Wenn er sie doch angefummelt hat.«
»Hat er nicht!«, knurrte Marko.
»Hätte aber sein können, wo Birte doch voll fett in ihn verknallt war.«
»War ich nicht!«, keifte Birte.
»Warst du wohl!«
Birte knallte Steffi unvermittelt die beringte Hand ins Gesicht, und Steffi kippte rückwärts ins Unterholz. Im Aufstehen riss sie Birte von der Lehne. Birte faustelte und kreischte. Steffi schlug zurück. Marko packte Steffi am Kragen und warf sie in den Sandkasten. Sie sprang auf, schrie: »Mach das nie wieder!«, und stellte sich in das, was die meisten für eine Karatepositur halten. Marko schnaubte Wolken und zeigte die abgeschlagenen Beißer. Wahrscheinlich sollte das ein Lächeln sein.
»Und warum«, fragte ich, »habt ihr die Anzeige dann wieder zurückgezogen?«
Die Mädels wechselten einen Blick, schon wieder als dicke Freundinnen.
»Auf Meineid steht Strafe«, teilte Steffi mit. »Außerdem hat sich der Jürgen voll korrega verhalten. Er hat sich hingestellt und gesagt, dass ihn jemand wegen sexueller Belästigung angezeigt hat und dass er gehen muss, wenn das wahr ist, und so. Und dann hat er gesagt, dass er schwul ist und nie was mit Mädchen anfangen würde.«
Marko ritzte mit der Stiefelspitze Kerben in den gefrorenen Sand.
»Okay«, sagte ich. »Und wer hat ihn umgebracht?«
»Die Brutalos vom Hallschlag«, antwortete Steffi prompt. »Ich schwör.«
»Nachts auf euerm Schulhof? Wie sind die denn da reingekommen?«
Steffi zuckte mit den Achseln. Aus den Mündern dampften Wolken.
»Oder die Türken?«, schlug ich vor.
»Aber«, sagte Marko, »nur wenn’s ein Messer war.« Er stieß den Stiefel in den Sand. Wir husteten Staub.
»Hör auf damit!«, fauchte Steffi.
»Fick dich! Außerdem muss ich dann mal.«
Sofort sprang Jöran von der Bank. Birte rutschte hin terher.
»He!«, schrie Steffi. »Ihr könnt doch nicht alle gehen.«
Sie konnten. Steffi schüttelte mir eilig die Hand und rannte hinterher.
4
Nach Jahren unreflektierter Praxis war ich kürzlich daraufgekommen, dass ich mir immer dann eine Krawatte umband, wenn ich mit meinem Latein am Ende war. Ich hatte nur mittlere Reife. Aber man konnte nicht alles auf die Kindheit schieben, wenn mir auch aus irgendeinem Grund die Jugend jene Beziehungen vorenthalten hatte, die aus dem Kind Frau oder Mann machen. Weder Minirock noch Nadelstreifenanzug hatten mir später wesentliche Erkenntnisse
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