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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Neckar gen Nordosten. Da hinten lag Münster wie eine Strafkolonie am Neckar, bewacht von der Müllverbrennungsanlage, die einst für den Müllnotstand konzipiert worden war und jetzt bis nach Ulm um Müll bettelte. Die Rauchgasentschwefelung griff mit blau gepinseltem und begrüntem Beton und mit Verkleidungen aus Blech in Rose und Mint über die Straße in den alten Steinbruch, in dem die vierzehn Nazisäulen standen wie bestellt und nicht abgeholt.
    Bis zur Pause war es noch eine Zigarettenlänge. Ich fragte mich, ob ich mit vierzehn eine Zeitungsjournalistin angerufen hätte, die ich kaum kannte. Die Klingel schrill te über die platzartig begrünte Kreuzung zwischen Schule, Bäcker und öffentlichem Telefon. Eine halbe Minute später sprang Steffi mit langen Schlaghosenbeinen aus dem Tor. Dass sie darauf aus war, jedes Gespräch mit ei nem förmlichen Handschlag zu beginnen, amüsierte mich. Ich lud sie ins Auto ein.
    »Porno! Ziemlich abgedeckt, eh? Ich meine alt. Fährt ja gerade mal hundertachtzig. Vierlagig! Ich schwör. Ich mag alte Sachen. Hast du ’ne Zigarette für mich? Ich hab’s voll nötig. Es ist alles total peinlich.«
    »Fang an. Du hast noch drei Minuten.«
    Sie war eine von den Teeny-Schönheiten, die an der Discotür für achtzehn durchgingen, auch wenn sie das herzförmige Gesichtchen nicht sonderlich schminkte.
    »Also«, seufzte sie, »ich hab kürzlich mit einer Kanakenfotze aus der neun total Stress gehabt. Die hat voll abgenervt. Ich hab ihr gesagt: Du kriegst gleich ein Brett und so. Und ich tu immer, was ich sage. Na ja, ich erwische sie voll, und sie schlägt sich einen Zahn aus, anner Laterne. Sie ist zu ihrer Mutter, und die hat mich angezeigt. Jetzt hab ich von der Stadt so einen Brief gekriegt. Ich schwör. Ich muss 150 Euro zahlen.«
    »Wie bitte?«
    »Schmerzensgeld oder so. Und zwar bis morgen.«
    »Da gibt es immer Einspruchsfristen.«
    »Aber ich hab schon mal so einen Brief gekriegt. Ich hab ihn weggeschmissen, damit meine Mutter nix merkt. Die kriegt die Krise. Ich schwör. Ich schulde ihr sowieso noch Geld.«
    »Dann zeig mir mal den Brief.«
    »Hab ich nicht dabei.«
    »Was stand denn oben drauf? Strafbefehl vom Amtsgericht?«
    »Genau. Und ich muss heute zahlen.«
    »Ich dachte, morgen.«
    »Ich muss es überweisen, damit es morgen da ist.«
    Von Bankgeschäften hatte das Mädel offenbar keine Ahnung. Sie schwor, sie werde mir das Geld zurückzahlen, nächste Woche, denn ein paar Kumpels schuldeten ihr noch was. Der Brief liege daheim, aber einen Schlüssel habe sie nicht, den habe sie heute früh in der Hetze vergessen. Und die Mutter schaffe bis fünf. Sie hatte wirklich an alles gedacht. Ging es mich was an, dass sie log? Lügen sind Teil der täglichen Kommunikation, und auf 150 Euro kam es mir nicht an. Doch ich war Erwachsene genug, eine Ausrede, die ich bei einem Kollegen akzeptiert hätte, in Pädagogik umzumünzen.
    »Minderjährige kriegen nicht einfach so Strafbefehle. Der Richter hätte deine Mutter einbestellt, das Jugendamt wäre bei euch aufgetaucht. Außerdem verurteilt man Schüler zu sozialen Tätigkeiten. Du kriegst das Geld, aber ich möchte eine andere Geschichte dafür.«
    Steffi lief rot an. »Also gut. Ich bin einem Kumpel was schuldig. Ich schwör.« Er habe sie schon ein paarmal rausgehauen, wenn es gegen die Brutalos vom Hallschlag ging. Jetzt habe er voll Mist gebaut. Er habe einen andern in ein Schaufenster gestoßen. Der Ladenbesitzer wolle Geld sehen, und zwar bis heute Abend, sonst wolle er den Kumpel anzeigen. Ich bekäme das Geld bestimmt zurück. Der Kumpel war achtzehn und machte eine Leh re. »Ich schwör.«
    »Wo arbeitet er, und wie heißt er?«
    Steffi druckste. »Inner Druckerei, glaube ich. Er heißt … er heißt Heiner, Heiner Berg.«
    »Und du bist sicher, dass du jetzt die richtige Geschichte erzählt hast?«
    »Ich schwör.«
    Am Schultor erschien ein Mann in Kordhosen und Allwetterjacke.
    »Scheiße, der Zeller!« Steffi grabschte hastig nach meinen drei Scheinen, knüllte sie in die Gesäßtasche und flutschte – »Vielen Dank auch!« – aus dem Auto. Der Lehrer stoppte sie am Schultor, hielt sie sogar am Ellbogen fest, aber sie riss sich los und verschwand. Er straffte die Schultern und kam langen Schrittes auf mich zu. Ich unterdrückte den Impuls, Brontë zu starten und abzuhau en, sondern stieg aus.
    »Darf ich mal fragen, was Sie hier suchen?«, sagte er in einem Ton, der dem servilen Klang der Frage

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