Harte Schule
war, gell? Und dann bist du dran.«
»Das kommt darauf an, was Sie der Polizei erzählen.«
»Ich?!« Die Alte lachte. »Was soll ich denn erzählen? Die wollen doch gar nichts wissen. Wenn sie mich gefragt hätten, wäre ich vielleicht sogar selbst darauf gekommen, dass der Korkenzieher etwas mit dem Mord zu tun haben könnte. Ich habe ihn nämlich am Morgen danach auf dem Weg am hinteren Schulhof gefunden, aber bevor ich in die Schule kam. Ziemlich unvorsichtig, die Waffe einfach so wegzuwerfen, so nah am Tatort, find’sch net?«
»Es menschelt immer, wenn einer mordet.«
»Was du nicht sagst. Mir scheint, es menschelt im Moment ganz woanders. Du hoffst wohl, dass Marko aus der U-Haft entlassen wird, wenn du in der Zeitung schreibst, dass der Minischter und sein Schwager, der wo unser Rektor ist, was für minderjährige Knaben übrighaben. Aber wird das funktionieren? Außerdem, mal angenommen, der Korkenzieher könnte tatsächlich zum Täter führen, wie willst du ihn denn wieder aus dem Sessel des Minischters herausbekommen?«
»Marquardts Mörder ist mir egal. Er hat einen Kinderkiller ermordet. Heute wurde die Leiche von Selim Ögalan auf dem Gelände von Marquardts einstigem Schrebergarten gefunden.«
Die Physiklehrerin sah plötzlich anders aus: alt, eingefallen, grau.
»Außerdem hat Marquardt Zeller erpresst. Er drohte zu verbreiten, dass Zeller ein Verhältnis mit einer minderjährigen Schülerin habe. Seine Schüler drängte Marquardt zu sexuellen Offenbarungen. Seine AGs dienten der Rekrutierung von jugendlichem Fleisch, während die Schüler glaubten, es ginge um Aufklärung. Marko, der mit seiner latenten Homosexualität ringt, hat es als Erster gemerkt und versucht, sich zu entziehen. Vielleicht war der Junge, den Marquardt als drogenabhängig bloßstellte und der unter ungeklärten Umständen starb, auch nur ein Zeuge und/oder Opfer. Otter schaute dem Treiben zu, weil er selber bis zur Hüfte im Schlamm steht. Wahrscheinlich hat Marquardt auch ihn erpresst. Wer will denn da noch den Henker an den Pranger stellen?«
Schneider faltete die rissigen Hände auf dem Wachstuch. »Mag sein«, sagte sie leise, »dass du recht hast. Mag sein, dass Marquardt all das war und all das getan hat, was du sagst, aber was, wenn nicht? Er kann die Vorwürfe nicht mehr entkräften. Auch der kleine Selim kann dir nicht sagen, ob Marquardt wirklich sein Mörder war. Tote können nicht mehr sagen: ›Du irrst dich‹. Deshalb frage ich dich: Wer hat eigentlich das Recht zu entscheiden, ab wann einer nicht mehr reden darf, hm?« Sie hob kurz den Blick. »Marquardt unterrichtete schon zwei Jahre an unserer Schule, als Otter vor fünf Jahren anfing. Von Anfang an hatte er Marquardt auf dem Kieker. Marquardts Stundenplan bestand nur aus Hohlstunden. Er kam als Erschter und ging als Letschter. Im vergangenen halben Jahr hatte er fünf Unterrichtsbesuche. Einmal bestellte Otter ihn ein, weil das Klassenbuch angeblich nicht ordentlich geführt war, ein andermal, weil Eltern sich über die Themen seines Ethikunterrichts beschwert hatten. Bei der Notenkonferenz fiel ein Schüler durch, für den Marquardt plädiert hatte, weil Otter den Ausgleich der Fünf in Mathe über die Deutschnote unterband. Für seine AGs bekam Marquardt keine Deputatstunden. Es waren auch nie Räume vorhanden, weshalb Marquardt auf die Abende auswich, woraufhin die Schüler wegblieben. Ich erinnere mich noch gut, wie er einmal bei mir drüben in der Physiksammlung saß und darüber nachdachte, ob er den Schuldienst quittieren solle. Er fühlte sich abgelehnt, verlacht, verfolgt und behindert. Ich riet ihm damals, sich einen Verbündeten zu suchen, statt es allen recht machen zu wollen.«
»Was hatte Otter denn gegen Marquardt?«
Schneider lächelte verzwickt. »Marquardts erschtes Abitur war eine Katastrophe. Seine Schüler wurden alle um drei Noten runterkorrigiert. Da er sie außerdem zu gut angemeldet hatte, kamen sie alle ins Mündliche. Dort stellte sich heraus, dass sie über ihren Liebeskummer reden konnten, aber nicht über Werthers Leiden. Marquardt schrieb Beschwerdebriefe ans Oberschulamt. Seit Otter hier ist, hat Marquardt keinen Deutschleistungskurs mehr bekommen. Man warf ihm vor, sich mit den Schülern gegen das Kollegium zu solidarisieren. Ihm ging es nie um Karriere, sondern immer nur um die Entwicklung seiner Schüler.«
»Aber die Schüler sagen …«
»Mein Kind, die Schüler sagen viel, wenn der Tag lang ist. Sie wissen
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