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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Nach dem Esoterik-Kurs, der eigentlich eine Aufklärungsstun de war, hat sie Marquardt im Vertrauen von ihrer Schwärmerei erzählt. Vielleicht hat sie ein paar Details zu sehr ausgepinselt, weil Kinder in dem Alter ungern zugeben, dass sie keine sexuellen Erfahrungen haben. Und Marquardt kam umgehend zu Ihnen.«
    Zeller sah mich an, als überlegte er, ob es sich lohnte, mir die Büroschere zwischen die Rippen zu rammen.
    »Sie wussten«, fuhr ich fort, »wozu Ihr Kollege in seiner grenzenlosen Begierde, sich überall mit großem moralischem Schwung einzumischen, fähig war. Sie sahen schon die Schlagzeilen: Stellvertretender Schulleiter hat Verhältnis mit minderjähriger Schülerin‹. Wenn man einen Blick in die Hölle wirft, die Sie hier in Ihrem Heim züchten, verstünde das jeder. Dieses Verständnis für Ihre bedrängte Lage und die schnellfertige Phantasie Ihrer missgünstigen Kollegen hätten Sie alles gekostet, was Sie aufgebaut haben. Und Sie müssen das Haus noch abbezahlen.«
    Zeller kniff die Augen zusammen.
    »Marquardt ist tot«, sagte ich. »Er kann Sie nicht mehr bedrohen. Dafür stehe ich auf der Matte.«
    »Das ist Erpressung!«
    »Eher ein guter Rat. Inzwischen pfeifen es nämlich die Spatzen von den Dächern, dass Otter was mit Jungs hat. Ich weiß aus berufenem Munde, dass Otter nach den Sommerferien nicht mehr Schulleiter sein wird. Sie haben eine zweite Chance.«
    »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich Schulleiter werde, wenn ich Otter ans Messer liefere, und das auch noch in der Presse.«
    »Dann kippen Sie doch auch noch den Kultusminister.«
    »Dann kann ich mich gleich nach Helgoland versetzen lassen.«
    »Angesichts des Missbrauchs Ihrer Schutzbefohlenen sollten Sie Ihren Ehrgeiz vielleicht einmal vergessen.«
    »Was heißt hier Missbrauch! Das mit Selim wusste ich wirklich nicht, und ansonsten geht es nur um Jöran Fischer, der, wie Marquardt mir glaubhaft versichert hat, aus freien Stücken …«
    »Dann hat Ihnen Marquardt also den Film gezeigt.«
    »Ich denke, Sie gehen jetzt besser!«
    »Sie also haben ihm die CD mit dem Film abgenommen und in dem Schließfach zwischengelagert. Um was damit zu machen? Kommen Sie! Marquardt war für die Schule nicht mehr tragbar. Aber Sie konnten auch nicht zu Otter gehen, denn Marquardt hat Ihnen den Artikel über den Club in der Wörrishofener Straße ins Fach gelegt und Ihnen eröffnet, dass auch Ihr Rektor dorthin geht. Otter wäre versteinert, wenn Sie ihm den kleinen Nebenverdienst Jörans vorgehalten hätten. Er konnte weder Jöran noch Marquardt rauswerfen, denn beide hätten aus der Schule geplaudert. Andererseits hatte Marquardt Sie voll im Griff mit seinem Vorwurf der Verführung Minderjähriger.«
    Zeller hob das Kinn. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
    »Dasselbe wie Marquardt. Liefern Sie Otter ans Mes ser. Ich will den Kultusminister.«
    »Was Sie da vorhaben, hat meines Erachtens nichts mehr mit sauberem Journalismus zu tun.«
    »Ist hier noch irgendetwas sauber?«
    Zeller seufzte.

20
     
    Die Physiklehrerin Ursula Schneider wohnte in einem Häuschen direkt an der Bahnlinie, nur wenige hundert Meter von Zeller entfernt. »Wiedersehen macht Freude«, verkündete ich, als sie die Tür öffnete. »Allerdings sind Ihr Diktafon und das Mikro verloren. Ich besorge Ihnen neue.«
    Sie winkte ab. »Komm rein. Der Tee ist fertig.«
    Rechts vom Eingang lag die Wohnküche mit Eckbank und Wachstuch auf dem Küchentisch. Auf dem Gasherd stand ein Kessel. Der Küchenschrank war weiß lackiert. Obgleich es kühl war, lief Schneider in einem kurzärmeligen grauen Kleid herum, das ihr vertrocknetes Figürchen etwas sperrig umschloss. Sie stellte mir einen Becher Tee und einen Aschenbecher hin, wischte nicht vorhandene Krümel vom Wachstuch und rutschte hinter den Tisch auf die Bank.
    »Mein Mann ist an Lungenkrebs gestorben. Er war Kunschterzieher.« Sie kicherte. »Rauch nur, ich weiß, du glaubst auch, dass du davonkommst. Und nun erzähl mal: Wie war’s bei Bollach?«
    Als ich sechzehn war, hatte ich das einseitige Du für ein Zeichen von Geringschätzung gehalten, jetzt kam es mir zärtlich vor. Ich gestand wahrheitsgetreu die ganze Pleite, restlos alles.
    Sie wischte übers Tischtuch und sagte: »Du kannst den Minischter nicht mit einem untergeschobenen Korkenzieher überführen. Wenn er der Täter wäre, müsste er das Ding verschwinden lassen, bevor die Polizei anrückt. Wenn sie es findet, ist es nur ein Beweis, dass er es nicht

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