Harte Schule
stach tiefer, bis er auf Widerstand stieß. Er legte den Teil einer blauen Mülltüte frei. Richard wandte sich leichenblass ab, als ich sie mit dem Taschenmesser aufschnitt und bräunliche Knochen und verweste Textilien zum Vorschein kamen.
Steffi entflutschte ein »Porno!«, dann wurde auch sie blass. Richard lehnte an der anderen Seite der Hütte und rauchte am ganzen Körper zitternd.
»Wie hieß der Junge, der vor zwei Jahren verschwand?«, fragte ich ihn.
»Selim Ögalan.«
19
Steffi erwartete mich auf den Stufen neben dem Panzerglaswürfel der neuen Städtischen Galerie am Schlossplatz. Es dämmerte schon. Wir begannen den Rundkauf mit Jeans bei L’Orsay und, weil Steffi so nett bettelte, einem Zebrafelltop. Bei Karstadt die Nikes, bei H&M die Jacke von L.O.G.G. nicht besonders markennobel, aber weniger gefährdet, und bei McDonald’s Pommes, Apfeltasche und Cola. Steffi berichtete, dass die Grufties auf dem Friedhof von Münster schwarze Messen feierten. Das eine oder andere Huhn vom Kleintierzüchterverein hatte wohl sein Blut auf einem Grabstein lassen müssen. Steffi wusste es von Persephone, die es im Esoterik-Kurs erzählt hatte, aber selber nie dabei gewesen war. Sie habe auch mal daran gedacht, Gruft zu werden, aber da müsse man schwarz fühlen, und die Musik sei voll depressiv. Steffi zählte sich zu den Stinos, den Stinknormalen.
Ich fuhr sie nach Münster. Sie zeigte mir Fickfehlers Haus, und ich entließ ein für heute überglückliches Mädel.
Frau Frech war auch abends auf unangemeldeten Be such vorbereitet. Der Vater schaute die Tagesschau, stell te die Kiste aber ab, als Besuch eintrat, und verbeugte sich beim Handgeben. Die Mischung aus Frankfurter Allgemeine , Chips und Fernsehsessel ließ auf eine untergeordnet leitende Funktion schließen. Die Mutter holte den Sohn, der im knöchellangen Schottenrock linkisch zwischen Eichenwand und Couchkissen die Hand gab. Und sie schwänzelte uns ins Kinderzimmer nach, um Tee und Kaffee anzubieten. Fickfehler lächelte, zerrissen zwischen Nachsicht und Ungeduld. Dann war die Tür endlich zu.
Der Junge flegelte sich aufs Bett und überließ mir den blau lackierten Drehstuhl am Tisch, der über und über mit Aluminium beschlagen war. Die Dielen seines Zimmers hatte er schwarz gestrichen und mit einem Muster aus kleinen Rosen versehen, deren Blüten und Blätter rot und grün durch eine Schablone gespritzt worden waren. Die Farbspritze stand in der Ecke unter einer durchsichtigen Plane, die wie ein Moskitonetz von der Decke hing. An der Wand lehnten Bilder. Das vorderste zeigte einen Bullterrier, der vor dem Hintergrund brennender Hochhäuser, die das Wort LOVE darstellten, auf einer regennassen Straße eine Katze zerbiss.
»Wir haben heute Mittag die Leiche von Selim gefunden.«
Fickfehler langte den Tabak vom Tisch und belegte ein Blättchen. Er rollte knisternd den Tabak und leckte das Blättchen an. Ich merkte, dass eines nicht klappte: den Ju gendlichen durch Schweigen nervös zu machen. Erwachsene fürchteten sich vor den Engeln, die durchs Zimmer gingen, aber die Kinder brauchten nicht zu reden, wenn sie zusammen Musik hörten. Er blies einige Rauchringe.
»In Marquardts ehemaligem Schrebergarten«, legte ich nach.
»Dem hätte man als Baby den Hauptgenerator abschneiden müssen.«
»Er hatte gar keinen«, sagte ich.
»Ach was?« Fickfehler lachte böse.
»Jedenfalls keinen richtigen.«
Der Junge war Mann genug, beklommen in die eigene Hose zu lauschen, was da wohl schiefgehen konnte. »Wie das?«
»Wenn du das nicht weißt«, sägte ich, »dann hast du ihn auch nicht umgebracht.«
»Ich hätte sowieso eine Knarre benutzt.« Fickfehler bestritt zwar, dass er eine Schusswaffe in seinem Schreibtisch aufbewahrte, aber er erklärte mir, er sei schon zwei Mal von VfB-Fans zusammengeschlagen worden. »Ich zieh die Gewalt an wie Scheiße die Fliegen.«
Ohne Zweifel provozierte sein langer Schottenrock. Aber als Punk wurde man eben geboren. Mit der Schule war im Sommer eh Schluss, auch wenn seine Eltern ihm das nie verzeihen würden. Sie wollten, dass er wenigstens die Kunstakademie besuchte, wenn er schon Maler werden musste, aber das sei ein spießbürgerlicher Affenzirkus. Er habe ohnehin nicht vor, seine Bilder an reiche Arschlöcher zu verkaufen.
»Und was machst du«, erkundigte ich mich, »wenn du mit fünfundzwanzig in eine Schaffenskrise kommst?«
»Dann geh ich als Fallensteller nach Kanada. Ich bin alt genug, um zu
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