Harte Schule
um. Unversehens saßen wir in einem fremden Wohnzimmer. Unter dem Blumenfenster knirschte Glas auf dem Teppich. Feuerwehrsirenen johlten.
»Er wollte doch nur …«, bibberte Frau Otter, das Kind wiegend, »er wollte doch nur … ich verstehe das nicht … sie haben doch erst heute alles überprüft.« Sie versuchte, mich zu fokussieren. Sie war blass, weich und schön, hatte volle Lippen, dunkle Augen, wirres braunes Haar. Es war die Schönheit des Muttertiers, das für Mann und Kind das Haus bestellte, ohne von der inneren Unruhe des Strebens nach geldwerter Selbstverwirklichung berührt zu sein. Es waren, stammelte sie, am Nachmittag zwei Männer von den Technischen Stadtwerken da gewesen, um wegen einer Änderung des Gasdrucks die Heizung neu einzustellen.
Feuerwehr und Polizei hatten draußen alles großräumig abgesperrt. An Brontë kam ich nicht mehr heran. Ich setzte mich gen Osten durch die Wohnstraßen ab. Ein scharfer Wind fegte mir Schneegriesel entgegen. Aus meinen Haaren rieselten immer noch Glaskrümel. Als ich im Windschatten des Unterstands an der Straßenbahnhaltestelle endlich die Zigarette ankriegte, hatte ich die Prioritäten klar. Die anderen mochten Schachspieler sein, ich war ein Haudegen. Kai, der Spätdienst habende Jungre dakteur beim Stuttgarter Anzeiger, fiel genauso rotba ckig, wie man das von einem Jungredakteur erwarten konnte, auf das dicke Ding herein, das ich ihm hechelnd präsentierte.
Sieben vor sieben klingelten die Furien. Ich taumelte aus dem Bett, versah mich mit einem Küchenmesser und wankte zur Tür. Das Treppenhaus war leer. Unten abgeschlossen. Oma Scheible war ab zehn Uhr abends dahinter her. Ich warf das Messer in die Küchenlade zurück und hängte mich aus dem Fenster. Die Kälte schlug zu. Unten stand Richard. Ich warf ihm den Schlüssel zu und ging mir Hosen und Pullover überziehen. Er stürzte in die Wohnung und stellte das Radio an. Der Pastor sprach.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?« Richard knallte die Zeitung auf den Tisch. Auch in den Sieben-Uhr-Nachrichten war es der Aufmacher.
»Der baden-württembergische Kultusminister Bollach soll nach einem Bericht des Stuttgarter Anzeigers in einem Homosexuellen-Club regelmäßig Kontakt mit minderjährigen Strichjungen gehabt haben.« Ein Reporter fasste dann meinen Bericht zusammen. »Wie das Blatt weiter berichtet, kam Bollachs Schwager, der Schulleiter des Paul-Häberlin-Gymnasiums, in der vergangenen Nacht bei einer Gasexplosion in seinem Haus auf dem Steinhaldenfeld ums Leben. Dieser Schwager soll Bollach regelmäßig in den Schwulenclub begleitet haben, in dem auch wenigstens ein Schüler des Gymnasiums verkehrte, der der Redaktion des Stuttgarter Anzeigers namentlich bekannt ist. Außerdem führt das Blatt einen Anschlag auf einen Oberstaatsanwalt auf, der sich Dienstagabend ereignet haben und im Zusammenhang mit geheimen Ermittlungen stehen soll, die gegen Bollach im Gange sein sollen. Gegenstand der Ermittlung soll auch der Medienkonzern TVCinema sein. Dabei geht es dem Zeitungsbericht zufolge um illegalen Handel mit Kinderpornographie. Ein Deutschlehrer des Gymnasiums soll bei den Behörden Anzeige gegen TVCinema erstattet haben. Er starb am Dienstag vergangener Woche unter bislang ungeklärten Umständen. Eine offizielle Bestätigung für die Vorwürfe des Stuttgarter Anzeigers gibt es noch nicht.«
Richard würgte das Radio ab. »Ich hoffe, du kannst das beweisen!«
»Heute Nacht«, sagte ich, »wären beinahe eine unbeteiligte Frau und ein kleiner Junge draufgegangen.«
»Und was hast du dort wieder gesucht? Merkst du nicht, dass du den Ast absägst, auf dem du sitzt? Dein Auto steht dort. Die Polizei fahndet nach einer unbekannten Person. Die Gasleitung wurde nach ersten Ermittlungen der Brandsachverständigen mit einer Rohrzange beschädigt, die im Keller lag. Die müssen doch zwei und zwei zusammenzählen. Du hast auf mich geschossen. Das ist aktenkundig. Du bist bei Bollach eingedrungen, bis zum Hals umwickelt mit Abhörelektronik, die nicht einmal funktioniert hat. Du findest eine Kinderleiche, nach der die Polizei seit zwei Jahren sucht. Was ist da deine Behauptung wert, Bollach ginge in einen Schwulenclub?« Er nahm meine Jacke vom Haken und warf sie mir ins Gesicht.
»Wohin gehen wir?«, fragte ich.
»Ein vornehmer Mann verliebt sich wie ein Narr, aber nicht wie ein Dummkopf. La Rochefoucauld. Los, zieh dich an!«
Wenn er zitierte, war es ernst. »Ich würde gern noch
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