Harte Schule
wissen, was ich will.«
»Ich bin zu alt, um das zu wissen«, sagte ich.
Fickfehler warf seine Anlage an und ließ die Internationale erschallen – »Völker, hört die Signale …« –, danach Brecht-Märsche. Ich ließ mir erklären, wo Zeller wohnte, und stieg eine halbe Stunde später die Enzstraße hoch. »Auf zum letzten Gefecht. Die Internationale erkämpft das Menschenrecht …«
Zellers Haus stand an vorderster Front über dem Steinbruch an der Müllverbrennungsanlage, wo das Via dukt nach Münster übergriff. Schön, wenn man Indust riearchitektur schätzte. Dennoch war das Haus eine Nummer zu groß für einen Oberstudienrat.
Zeller öffnete und war nicht erfreut. Eine Frau segelte die Treppe herab, sehr blond und knallig geschminkt, dabei aber, wenn auch in rosa Hausmantel, schlampig. Der Mund neigte zum Greinen, die Augen stachen, kurz: eine geballte Ladung häuslicher Probleme, in die mich der Vizedirektor verständlicherweise nicht hatte einweihen wollen. Sie startete eine Anbieterei von Getränken, griff selbst zum Whiskey und bedachte die beiden Rabauken oben im Kinderzimmer mit ein paar unfeinen Worten. Zeller killte sie hinterrücks mit Blicken und entschwand nach oben, während sie mir Fragen stellte, die sie mit einem Abriss ihres Lebens – dem Kunststudium, der Referendariatszeit und der Geistlosigkeit des Hausfrauendaseins – selbst beantwortete. Ihr Mann halte sie wie eine Sklavin, wolle Kinder, die Pille nehme sie jetzt heimlich, es sei die Hölle. Sie kicherte.
Zeller erschien unhörbar wie ein Dämon, erklärte, die Kinder schliefen jetzt, und luchste mich seiner Frau ab mit den knarrenden Worten, wir hätten ein Fachgespräch zu führen, das sie bloß langweile. Wir schlichen an der halb offenen Kinderzimmertür im ersten Stock vorbei hinauf in ein Arbeitszimmer unterm Dach, randvoll mit Büchern und Computern. Zeller räumte mir einen Hocker frei und setzte sich in seine Computerecke. »Allerdings weiß ich nicht, warum ich mich überhaupt noch mit Ihnen unterhalte.«
»Die Polizei hat heute die Leiche von Selim Ögalan ausgegraben. Sie erinnern sich? Der Junge, der vor zwei Jahren verschwand.«
»Natürlich erinnere ich mich.«
Ich erklärte Zeller, wo die Leiche aufgetaucht war. »Die Polizei hat Marquardt doch damals schon verdächtigt.«
»Gott ja«, seufzte Zeller, »aber es war kein konkreter Verdacht. Nur weil Marquardt den Jungen als Letzter gesehen hatte … Wer traut schon wirklich einem Kollegen so was zu? Natürlich haben wir trotzdem ein paar Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, aber mehr zu seinem Schutz. Er durfte sich nicht mehr als Vertrauenslehrer aufstellen lassen; keine Sprechstunden mit Schülern. Mag sein, dass er immer das Beste wollte, aber er hatte eine entschieden unglückliche Hand.«
»Sie untertreiben. Ein Schüler nahm sich das Leben, nachdem Marquardt ihn als Drogensüchtigen bloßgestellt hatte. Eine Schülerin zeigte ihn wegen sexueller Belästigung an. Seine Theater-AG endete in einer Pleite, weil der Hauptdarsteller absprang aus Angst, sich lächerlich zu machen. Aus Fickfehlers Klasse mussten Sie ihn rausnehmen, weil der Junge ihn fortwährend als Kinderkiller beschimpfte. Aus den AGs liefen ihm die Schüler davon, bis er anfing, sie zu bezahlen und ihnen zweifelhafte Aufklärungsfilme zu zeigen. Ihnen selbst ist es doch suspekt vorgekommen, dass die Schüler sich auffällig bedeckt hielten, wenn Sie sich nach den Inhalten erkundigten. Wann haben Sie angefangen, ihm zu misstrauen? Als er sich Ihren CCD Camcorder auslieh?«
»Er plante eine Video-AG und wollte sich mit der Technik vertraut machen. Ich konnte doch nicht ahnen …« Zeller verstummte.
»Was denn?«
Er schüttelte den Kopf.
»Na gut. Und wann war bei Ihnen wirklich der Ofen aus? Als Marquardt Ihnen Ihr Verhältnis mit Steffi Bach vorhielt?«
»Das entspricht nicht den Tatsachen!«
»Was? Das Verhältnis oder dass Marquardt Sie bedrohte, er werde es Otter melden oder der Mutter sagen?«
»Ich habe nie ein Verhältnis mit Steffi gehabt. Wenn sie das behauptet, dann lügt sie. Mag sein, dass sie in mir den Vater gesucht hat, den sie nicht hatte. So was ist immer heikel, besonders heutzutage, nicht wahr, wo jeder sofort eine Unsittlichkeit wittert, wenn ein Lehrer mit einer Schülerin mal fünf Minuten allein in einem Klassenzimmer ist, um ein persönliches Gespräch zu führen.«
»Aber Steffi hat andere Signale empfangen, und sie hat aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht.
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