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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Stoff war ein kleiner Riss.
    Sara lehnte sich gegen die Wand. Sie hatte es zuvor nicht bemerkt, aber an seinem Ohrläppchen hatte er einen frischen Schnitt. Sie wollte ihn danach fragen, aber wahrscheinlich würde er ihr sagen, dass er sich beim Rasieren geschnitten hatte. Vielleicht wollte sie gar nicht wissen, was passiert war. Das Polaroid seiner verwüsteten Lippe brannte noch immer in ihrer Erinnerung. Was hatte man ihm sonst noch angetan? Was hatte er sich sonst noch angetan?
    Will sagte: » Warum ruft mich eigentlich keine der Frauen in meinem Leben, wenn sie Hilfe braucht?«
    » Hat Angie Sie nicht gerufen?«
    Er schaute zu Boden, auf den leeren Raum zwischen ihnen.
    Sie sagte: » Tut mir leid. Das war nicht fair. Es war ein langer Tag.«
    Will schaute nicht hoch. Stattdessen nahm er ihre Hand und verschränkte seine Finger mit den ihren. Seine Haut war warm, beinahe heiß. Er fuhr mit dem Daumen über ihre Handfläche. Sara schloss die Augen, während er langsam jeden Zentimeter ihrer Hand, die Falten und Vertiefungen erkundete und den Daumen sanft auf den Puls an ihrem Handgelenk drückte. Seine Berührung war tröstend. Sie spürte, wie ihr Körper sich langsam entspannte. Ihr Atem passte sich der ruhigen Frequenz seines Atems an.
    Die Türen zur Leichenhalle gingen zischend auf. Sara und Will lösten gleichzeitig ihre Hände voneinander. Sie schauten einander nicht an. Sie waren wie zwei Jugendliche, die man auf der Rückbank eines abgestellten Autos ertappt hatte.
    Amanda reckte triumphierend ihr Handy in die Luft. » Roger Ling will reden.«

12 . Kapitel
    F aith fühlte sich einem Nervenzusammenbruch so nahe wie noch nie in ihrem Leben. Ihre Zähne klapperten, obwohl ihr der Schweiß über den Körper rann. Sie hatte ihr Frühstück erbrochen und musste das Mittagessen hinunterwürgen. Sie hatte solche Kopfschmerzen, dass es sogar wehtat, die Augen zu schließen. Ihre Blutzuckerwerte waren äußerst fragil. Sie hatte in der Praxis ihrer Ärztin anrufen müssen, um zu fragen, was sie tun sollte. Man hatte ihr gedroht, sie ins Krankenhaus zu bringen, wenn sie ihre Werte nicht unter Kontrolle bekam. Faith hatte versprochen, sich wieder zu melden, war dann ins Bad gegangen, hatte die Dusche so heiß gestellt, wie sie es aushielt, und eine halbe Stunde lang geweint.
    Immer wieder ging ihr eine einzige Gedankenkette durch den Kopf, wie Reifen, die eine Furche in einen Kiesweg graben. Sie waren in ihrem Haus gewesen. Sie hatten ihre Sachen berührt. Jeremys Sachen berührt. Sie kannten sein Geburtsdatum, seine Schulen. Sie wussten, was er mochte und nicht mochte. Sie hatten das alles geplant– bis ins letzte Detail.
    Die Drohung war wie ein Todesurteil. Mund zu. Augen auf. Faith glaubte nicht, dass ihre Augen sich weiter öffnen oder ihr Mund sich fester verschließen ließe. Zweimal hatte sie das Haus durchsucht. Beständig kontrollierte sie ihr Telefon, ihre E-Mails, Jeremys Facebook-Seite. Es war drei Uhr nachmittags. Seit fast zehn Stunden war sie in ihrem Haus gefangen wie ein Tier im Käfig.
    Und noch immer nichts.
    » Hey, Mom?« Jeremy kam in die Küche. Faith saß am Tisch und starrte in den Hinterhof hinaus, wo Detective Taylor und Ginger sich ernsthaft unterhielten. An ihrem gelangweilten Verhalten merkte sie, dass sie nur auf eine Nachricht von ihrem Chef warteten, damit sie zu ihrer normalen Arbeit zurückkehren konnten. Was sie anging, war dieser Fall kreischend zum Stehen gekommen. Es waren schon zu viele Stunden vergangen. Niemand hatte Kontakt aufgenommen. Sie konnte die Wahrheit in ihren Augen lesen. Sie glaubten wirklich, dass Evelyn Mitchell tot war.
    » Mom?«
    Faith rieb Jeremys Arm. » Was ist denn? Ist Emma wach?« Die Kleine hatte letzte Nacht zu lange geschlafen. Sie war benommen und gereizt und hatte fast eine Stunde lang geschrien, bevor sie für ihr Nachmittagsschläfchen einnickte.
    » Es geht ihr gut«, antwortete Jeremy. » Ich wollte ein bisschen spazieren gehen. Für ein paar Minuten aus dem Haus raus und ein wenig frische Luft schnappen.«
    » Nein«, sagte sie. » Ich will nicht, dass du das Haus verlässt.«
    Seine Miene sagte ihr, wie barsch ihre Stimme geklungen hatte.
    Sie drückte ihm den Arm. » Ich will einfach, dass du hierbleibst, okay?«
    » Ich habe keine Lust mehr, hier drinnen eingesperrt zu sein.«
    » Die habe ich auch nicht, aber du musst mir versprechen, dass du das Haus nicht verlässt.« Sie spielte mit seinen Gefühlen. » Es reicht schon, dass ich mir

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