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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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umbringe– wegen was? Und dann hatte es mich getroffen wie ein Blitz: Ich bin in jeder Hinsicht zu dem geworden, was ich die ganzen Jahre bekämpft habe.« Er schniefte, hatte Tränen in den Augen. » Man wird zu dem, was man hasst.«
    » Manchmal.«
    Will konnte nicht sagen, ob Boyd Mitleid hatte mit den beiden Männern, die er getötet hatte, oder nur mit sich selbst. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. Jeder wusste, dass er irgendwann sterben würde, aber Boyd Spivey hatte ein Datum und eine Uhrzeit. Er kannte den Ablauf. Er wusste, wann er seine letzte Mahlzeit essen, das letzte Mal scheißen, sein letztes Gebet sprechen würde. Und dann würden sie ihn holen, und dann würde er aufstehen und auf seinen eigenen Füßen zu der letzten Pritsche gehen müssen, auf die er je seinen Kopf legen würde.
    Boyd musste sich noch einmal räuspern, bevor er fortfahren konnte. » Ich habe gehört, Gelb macht sich in den Außenbezirken breit. Du solltest mit Ling-Ling draußen in Chambodia reden.« Will kannte den Namen nicht, wusste aber, dass mit Chambodia der Teil des Buford Highway innerhalb der Stadtgrenzen von Chamblee gemeint war. Es war ein Mekka für asiatische und lateinamerikanische Immigranten. » Du kannst nicht direkt zu Gelb gehen. Nicht ohne Einladung. Sag Ling-Ling, Spivey hat gesagt, sie soll es unter der Decke halten.« Mit keinem Menschen darüber sprechen. » Aber pass auf dich auf. Für mich klingt das, als würde die Sache aus dem Ruder laufen.«
    » Sonst noch was?«
    Will sah Boyds Mund sich bewegen, aber er verstand nicht, was er sagte. Er fragte den Wachmann: » Haben Sie verstanden, was er gesagt hat?«
    Der Wachmann schüttelte den Kopf. » Keine Ahnung. Sah aus wie ›Amen‹ oder so was.«
    Will beobachtete Amandas Reaktion. Sie nickte.
    » Okay.« Boyds Ton deutete an, dass sie fertig waren. Sein Blick folgte Amanda, als sie aufstand. Er fragte: » Weißt du, was ich am meisten vermisse?«
    » Was?«
    » Aufzustehen, wenn eine Dame den Raum betritt.«
    » Du hattest schon immer gute Manieren.«
    Er lächelte und zeigte dabei seine kaputten Zähne. » Pass auf dich auf, Mandy. Sorge dafür, dass Evelyn wieder zu ihren Babys nach Hause kommt.«
    Sie ging um den Tisch herum und stellte sich nur wenige Schritte vor den Gefangenen. Will spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Der Wachmann neben ihm erstarrte. Doch es gab nichts zu befürchten. Amanda legte Boyd die Hand an die Wange und verließ dann das Zimmer.
    » O Mann«, stöhnte der Wachmann, » verrückte Kuh.«
    » Vorsicht«, warnte Will den Mann. Amanda mochte ja eine verrückte Kuh sein, aber sie war seine verrückte Kuh. Er öffnete die Tür und traf im Gang auf sie. Die Kameras hatten ihr Gesicht nicht gezeigt, aber jetzt sah Will, dass sie in diesem winzigen, luftlosen Raum geschwitzt hatte. Vielleicht war es aber auch Boyd gewesen, der sie ins Schwitzen gebracht hatte.
    Die beiden Wachmänner waren sofort wieder zur Stelle und postierten sich links und rechts von Amanda und Will. Über die Schulter sah Will, wie der an Händen und Füßen gefesselte Boyd gebückt und im Watschelgang zurück in seine Zelle geführt wurde. Bei ihm war nur eine Wache, ein kleiner Mann, dessen Hand den Arm des Gefangenen kaum umfassen konnte.
    Amanda drehte sich um. Sie sah Boyd nach, bis er um eine Ecke verschwand, und sagte: » Bei Kerlen wie ihm wünsche ich mir fast Old Sparky zurück.«
    Die Wachen ließen ein dröhnendes Lachen hören, das durch den Gang hallte. Amanda war ziemlich sanft mit Spivey umgegangen und musste sie jetzt wissen lassen, dass das alles nur Show war. Ihre Darstellung in dem winzigen Raum war ziemlich überzeugend gewesen. Will hatte sich eine Zeit lang täuschen lassen, obwohl Amanda, als sie einmal nach der Todesstrafe gefragt wurde, geantwortet hatte, ihr einziges Problem sei, dass man die Verbrecher nicht schnell genug töte.
    » Ma’am?«, fragte einer der Wachmänner. Er deutete auf die Tür am Ende des Gangs.
    » Danke.« Amanda folgte ihm zum Ausgang. Sie schaute auf die Uhr und sagte zu Will: » Es ist jetzt gleich vier. Wir brauchen mindestens eineinhalb Stunden zurück nach Atlanta, und das auch nur, wenn wir Glück haben. Valdosta ist zweieinhalb Stunden südlich von hier, bei dem Verkehr dürften es aber eher vier werden. Das schaffen wir nie rechtzeitig für einen Besuch. Ich kann ein paar Fäden ziehen, aber ich kenne den Gefängnisdirektor nicht, und auch wenn ich es täte, glaube ich nicht, dass

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