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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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sie so viel Zeit auf der anderen Seite des Tisches verbracht hatte. Doch ihre Miene verriet nichts davon. Ihre Lippen waren fest geschlossen. Die Augen schauten ausdruckslos geradeaus. Sie hatte blonde Haare wie Faith, aber mit grauen Strähnen an den Schläfen, blaue Augen, dreiundsechzig Kilo, eins neunundsiebzig– ein bisschen größer als ihre Tochter.
    Ihre Karriere war zweimal vom örtlichen Women’s Club mit Auszeichnungen für Pionierleistungen belohnt worden. Ihre Beförderung zum Detective erfolgte aufgrund von Geiselverhandlungen, die zur Befreiung von zwei Kindern und dem Tod eines Serien-Kinderschänders geführt hatten. Den Rang eines Lieutenants erhielt sie zehn Jahre, nachdem sie die Prüfung mit der höchsten je erzielten Punktzahl bestanden hatte. Ihre Ernennung zum Captain war die Folge eines vor der Gleichstellungskommission angestrengten Frauendiskriminierungsprozesses.
    Evelyn hatte den harten Weg an die Spitze eingeschlagen, sich ihre Karriere auf der Straße erarbeitet. Sie hatte zwei Abschlüsse, beide von der Georgia Tech, beide mit Auszeichnung. Sie war Mutter, Großmutter und Witwe. Ihre Kinder standen beide im Dienst der Öffentlichkeit, wie Sara das nannte– die eine für ihre Stadt, der andere für sein Land. Ihr Mann hatte den soliden, ehrbaren Beruf des Versicherungsvertreters gehabt. In vielerlei Hinsicht erinnerte sie Sara an ihre eigene Mutter. Cathy Linton war zwar keine Frau, die eine Waffe trug, aber es war ihr ein Anliegen, alles zu tun, was sie für sich selbst und ihre Familie für richtig hielt.
    Aber sie hätte sich nie bestechen lassen. Cathy war schmerzhaft ehrlich, jemand, der umkehren und fünfzig Meilen zurück in eine Touristenfalle in Florida fahren würde, weil man ihr zu viel Wechselgeld herausgegeben hatte. Vielleicht erklärte das, warum Faith mit Will arbeiten konnte. Wenn jemand Sara gesagt hätte, dass ihre Mutter fast eine Million Dollar gestohlen hatte, hätte sie demjenigen ins Gesicht gelacht. Sie hätte es für ein Märchen gehalten. Faith glaubte nicht einfach, er hätte sich in ihrer Mutter geirrt, sie glaubte, er sei getäuscht worden.
    Will legte eine neue Kassette ein.
    Sara bedeutete ihm, die Kopfhörer abzunehmen. » Es passt nicht zusammen.«
    » Was passt nicht zusammen?«
    » Sie haben gesagt, jedes Teammitglied hätte eine knappe Million abgesahnt. Sie konnten auf dem Konto, das in Bill Mitchells Namen in einem anderen Staat eröffnet wurde, nur ungefähr sechzigtausend Dollar nachweisen. Evelyn fährt keinen Porsche. Sie hat keine Geliebte. Faith und ihr Bruder waren nicht auf Privatschulen, und ihren einzigen Urlaub verbrachte sie zusammen mit ihrem Enkel auf Jekyll Island.«
    » Nach den heutigen Ereignissen passt das schon zusammen«, erinnerte er sie. » Wer Evelyn verschleppt hat, wollte dieses Geld.«
    » Das glaube ich nicht.«
    Die meisten Polizisten verteidigten ihre Fälle so, wie sie ihre Kinder verteidigen würden. Will fragte einfach: » Warum nicht?«
    » Bauchgefühl. Instinkt. Ich glaub’s einfach nicht.«
    » Faith weiß nichts von dem Bankkonto.«
    » Ich werde es ihr nicht sagen.«
    Er setzte sich auf und faltete die Hände. » Ich habe mir eben meine ersten Gespräche mit Evelyn angehört. Sie spricht vorwiegend über ihren Ehemann.«
    » Bill, richtig? Er war Versicherungsvertreter.«
    » Er starb ein paar Jahre, bevor die Ermittlungen gegen Evelyn eingeleitet wurden.«
    Sara machte sich auf eine Witwenfrage gefasst, aber Will zielte in eine andere Richtung.
    » Im Jahr vor seinem Tod wurde Bill von der Familie eines Versicherungsnehmers wegen Anspruchsverweigerung verklagt. Sie behaupteten, Bill hätte einige Formulare nicht korrekt ausgefüllt. Ein Vater von drei Kindern hatte einen seltenen Herzfehler. Die Versicherung verweigerte ihm die Übernahme der Behandlungskosten.«
    Das war für Sara nichts Neues. » Sie behaupteten, es handle sich um einen Zustand, der bereits vor dem Versicherungsabschluss existierte.«
    » Nur war das nicht so– zumindest war er nicht diagnostiziert. Die Familie nahm sich einen Anwalt, aber es war zu spät. Letztendlich starb der Mann, weil in einem Formular das falsche Kästchen angekreuzt worden war. Drei Tage später hatte die Witwe einen Brief von der Versicherung in der Post, in dem es hieß, Bill Mitchell, der Versicherungsvermittler, hätte in den Formularen einen Fehler gemacht und die Behandlung ihres Gatten würde übernommen.«
    » Das ist ja schrecklich.«
    » Bill machte

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