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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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ein Vogel. Leise durchsuchte sie den Wandschrank, die kleine Kiste mit Spielsachen, die Windeln und sonstigen Utensilien.
    Nichts.
    Jeremy schlief noch, doch Faith betrat sein Zimmer trotzdem. Sie hob seine Klamotten vom Boden auf, um wenigstens so zu tun, als hätte sie hier etwas zu suchen. Aber sie wollte einfach nur dastehen und ihn anschauen. Er lag in einer Haltung da, die sie für sich die John-Travolta-Pose nannte, ausgestreckt auf dem Bauch, der rechte Fuß aus dem Bett hängend, der linke Arm über den Kopf gestreckt. Seine Haare bedeckten fast sein ganzes Gesicht. Auf seinem Kissen war ein kleiner Speichelfleck. Er schlief noch immer mit offenem Mund.
    Gestern war sein Zimmer noch makellos gewesen, doch seine Anwesenheit hatte alles geändert. Papiere bedeckten seinen Schreibtisch. Der Inhalt seines Rucksacks quoll auf den Boden. Kabel von diversem Computerzubehör schlängelten sich über den Teppich. Sein Laptop, auf den er sechs Monate gespart hatte, lag aufgeklappt auf der Seite wie ein weggelegtes Buch. Mit dem Fuß kippte Faith ihn wieder in die Waagrechte, bevor sie das Zimmer verließ. Dann kam sie noch einmal zurück, aber nur, um ihm die Decke über die Schultern zu ziehen, damit er nicht auskühlte.
    Faith warf Jeremys Sachen oben auf die Waschmaschine und ging dann nach unten. Detective Connor saß auf einem Stuhl am Küchentisch. Er trug ein anderes Hemd als gestern, und das Schulterhalfter saß nicht mehr so straff. Seine Haare waren zerzaust, wahrscheinlich weil er, den Kopf auf dem Tisch, geschlafen hatte. Sie hatte sich angewöhnt, ihn für sich » Ginger« zu nennen, und hatte Angst, den Mund aufzumachen, damit ihr dieser Spitzname nicht entschlüpfte.
    Er sagte: » Guten Morgen, Agent Mitchell.«
    » Ist mein Bruder beim Joggen?«
    Er nickte. » Detective Taylor holt Frühstück. Ich hoffe, Sie mögen McDonald’s.«
    Bei dem Gedanken an Essen wurde es Faith fast schlecht, aber sie sagte: » Vielen Dank.«
    Die Hälfte des Kühlschrankinhalts war verschwunden, aber das lag wahrscheinlich an Jeremy und Zeke, die beiden futterten wie Achtzehnjährige. Sie holte den Orangensaft heraus. Der Karton war leer. Weder ihr Sohn noch ihr Bruder mochten Orangensaft.
    Sie fragte Ginger: » Habt ihr Jungs Saft getrunken?«
    » Nein, Ma’am.«
    Faith schüttelte den Karton. Er war noch immer leer. Sie glaubte nicht, dass Ginger sie wegen so etwas anlügen würde. Sie hatte beiden Detectives alles Ess- und Trinkbare in der Küche angeboten. Nach ihrem geplünderten Vorrat an Diät-Limonade zu urteilen, hatten sie ihr Angebot angenommen.
    Das Telefon klingelte. Faith schaute auf die Uhr am Herd. Es war genau sieben Uhr morgens. » Das ist wahrscheinlich meine Chefin«, sagte sie zu Ginger. Dennoch wartete er, bis sie den Hörer abgenommen hatte.
    Amanda sagte: » Nichts Neues.«
    Faith winkte den Detective weg. » Wo sind Sie?«
    Sie antwortete nicht. » Wie hält sich Jeremy?«
    » So gut, wie man es erwarten konnte.« Faith ging nicht ausführlicher darauf ein. Sie schaute nach, ob Ginger auch wirklich im Wohnzimmer war, und öffnete dann die Besteckschublade. Die Löffel zeigten in die falsche Richtung, die flachen Griffe lagen rechts, nicht links. Bei den Gabeln zeigten die Spitzen zur Vorderseite, nicht zur Rückseite der Schublade. Faith blinzelte, wusste nicht so recht, was sie da sah.
    Amanda sagte: » Sie haben von Boyd gehört?«
    » Will hat es mir gestern Abend gesagt. Das tut mir leid. Ich weiß, er hat ein paar schlimme Dinge getan, aber er war…«
    Amanda zwang sie nicht, den Satz zu beenden. » Ja, das war er.«
    Faith öffnete die Utensilienschublade. Alle Stifte waren verschwunden. Sie bewahrte sie mit einem Gummiband umwickelt in der hinteren rechten Ecke auf. Sie waren immer in dieser Schublade. Sie stöberte in den Gutscheinen, Scheren und nicht identifizierten Ersatzschlüsseln. Keine Stifte. » Haben Sie gewusst, dass Zeke in die Staaten zurückgekehrt ist?«
    » Ihre Mutter wollte Sie nur schützen.«
    Faith öffnete die andere Utensilienschublade. » Anscheinend wollte sie mich vor vielen Dingen schützen.« Sie griff nach hinten und fand die Stifte. Das Gummiband war gelb. Hatte sie es ausgetauscht? Faith konnte sich dunkel erinnern, dass vor einiger Zeit ein Gummi gerissen war, aber sie hätte auf einen Stapel Bibeln schwören können, dass sie das rote Band von dem Brokkoli verwendete, den sie an diesem Tag gekauft hatte.
    » Faith?« Amandas Stimme klang angespannt. » Was

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