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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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Zwei Hula-Mädchen als Salz- und Pfefferstreuer aus Hawaii. Er hatte eine Sonnenbrille vom Mount Rushmore, die Krone der Freiheitsstatue aus Schaumstoff und einen emaillierten Silberlöffel mit Darstellungen der spektakuläreren Ausblicke in den Grand Canyon. Doch die Sammlung, die er am meisten geschätzt hatte, waren seine Schneekugeln. Bei jeder Autofahrt, jedem Flug, sooft er auch nur das Haus verließ, kaufte Bill Mitchell sich eine Schneekugel als Erinnerung an dieses Ereignis.
    Nach dem Tod ihres Vaters zog niemand in der Familie in Zweifel, dass diese Dinge an Faith gingen. Als Kind hatte sie es geliebt, die Kugeln zu schütteln und den Schnee herumwirbeln zu sehen. Ordnung ins Chaos bringen. Das war etwas, das Faith mit ihrem Vater gemeinsam hatte. In einem seltenen Anfall von Kaufrausch hatte sie sich nach Maß Regale für diese Kugeln schreinern lassen und Jeremy eine solche Angst davor eingejagt, eines dieser Dinger zu zerbrechen, dass er einen ganzen Monat lang den langen Weg zur Küche nahm, damit er nur ja nicht zufällig gegen die Regale stieß.
    Und als sie sich jetzt vom Sessel aus diese Regale anschaute, sah sie, dass alle sechsunddreißig Kugeln zur Wand gedreht worden waren.

9 . Kapitel
    S ara fragte sich, ob es eine Eigentümlichkeit der Kinder des Südens war, am Sonntag in der halben Stunde zwischen der Sonntagsschule und der Messe krank zu werden. Die meisten ihrer frühen Patienten an diesem Morgen waren in diese goldene Zeitspanne gefallen. Bauchschmerzen, Ohrenweh, allgemeines Unwohlsein– nichts, was man mit einem Bluttest oder einer Röntgenaufnahme verifizieren konnte, was aber mit ein paar Malbüchern oder einem Comic im Fernsehen sehr leicht kuriert werden konnte.
    Gegen zehn Uhr waren die Probleme dann ernster geworden. Die Patienten kamen in schneller Folge, und es waren die, die Sara hasste, weil sie eigentlich vermeidbar gewesen wären. Ein Kind hatte Rattengift geschluckt, das es unter dem Küchenschrank gefunden hatte. Ein anderes hatte sich Verbrennungen dritten Grades zugezogen, weil es eine Pfanne auf dem Herd berührt hatte. Dann war da ein Teenager, den sie zwangsweise auf die Isolierstation hatte einweisen müssen, weil sein erster Versuch mit Marihuana bei ihm einen psychotischen Schub ausgelöst hatte. Dann war ein siebzehnjähriges Mädchen mit einem Riss im Schädel eingeliefert worden. Offensichtlich war sie noch immer betrunken, als sie an diesem Morgen nach Hause fuhr. Sie war mit ihrem Auto gegen einen abgestellten Greyhound-Bus gefahren. Sie befand sich im OP , aber Sara nahm an, dass sie, auch wenn es gelang, die Gehirnschwellung unter Kontrolle zu bringen, nie wieder dieselbe sein würde.
    Um elf Uhr wollte Sara zurück ins Bett und den Tag neu anfangen.
    In einem Krankenhaus zu arbeiten war eine beständige Gratwanderung. Der Job konnte einem so viel vom eigenen Leben aussaugen, wie man zuließ. Obwohl sie das wusste, hatte Sara sich vom Grady einstellen lassen und sich sogar darauf gefreut, weil sie nach dem Tod ihres Mannes kein Leben mehr wollte. Im Verlauf des letzten Jahres hatte sie ihre Stunden in der Notaufnahme reduziert. Ein normales Arbeitspensum zu bewahren, das war ein Kampf, den Sara jeden Tag kämpfte.
    Im Grunde genommen war es eine Form der Selbsterhaltung. Jeder Arzt schleppte innerlich einen Friedhof mit sich herum. Die Patienten, denen sie helfen konnte– dem kleinen Mädchen, dem sie den Magen ausgepumpt hatte, dem verbrannten Baby, dessen Finger sie gerettet hatte–, bedeuteten kurzfristige Glücksmomente. Es waren die Verlorenen, an die Sara sich erinnerte. Der Junge, der langsam und qualvoll der Leukämie erlegen war. Die Neunjährige, die nach einer Vergiftung mit Frostschutzmittel einen sechzehnstündigen Todeskampf hatte durchmachen müssen. Der Elfjährige, der sich das Genick gebrochen hatte, weil er mit dem Kopf voran in einen zu flachen Pool gesprungen war. Sie alle trug sie in ihrem Inneren als beständige Mahnung daran, dass es, wie sehr sie sich auch bemühte, manchmal– oft– einfach nicht reichte.
    Sara setzte sich im Ärztezimmer auf die Couch. Sie musste Krankenblätter aktualisieren, aber sie brauchte einfach eine Minute für sich selbst. Letzte Nacht hatte sie weniger als vier Stunden geschlafen. Will war nicht der direkte Grund, warum ihr Gehirn nicht hatte abschalten wollen. Sie dachte immer wieder an Evelyn Mitchell und ihre korrupte Bande von Brüdern. Die Frage nach der Schuld der Frau lastete schwer auf ihr.

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