Harter Schnitt
Entscheidung. Sie holte mit dem Skalpell aus und schlitzte ihm die Innenseite seines Oberschenkels auf. Der Mann schrie auf und ließ die Waffe fallen. Die Wunde war tief. Blut spritzte aus der Femoralarterie. Er fiel auf ein Knie. Sie beide sahen die Waffe gleichzeitig. Sie trat sie weg. Er griff stattdessen nach Sara, umklammerte die Hand mit dem Skalpell. Sie versuchte, die Hand loszureißen, aber er verstärkte den Griff um ihr Gelenk. Panik erfasste sie, als sie erkannte, was er vorhatte. Die Klinge bewegte sich zu ihrem Hals. Mit beiden Händen versuchte sie, ihn wegzuschieben, doch die Klinge kam immer näher.
» Bitte… nicht…«
Er saß auf ihr und drückte sie mit dem Gewicht seines Körpers auf den Boden. Sie starrte in seine grünen Augen. Das Weiße war mit einem Netz roter Linien durchzogen. Seine Lippen waren ein gerader Strich. Sein Körper zitterte so sehr, dass sie es in ihrem Rückgrat spürte.
» Fallen lassen!« George, der Wachmann, stand mit gezogener Waffe da. » Sofort, du Arschloch!«
Sara spürte den Griff des Mannes noch fester werden. Ihre beiden Hände zitterten, so heftig drückte sie gegen ihn.
» Sofort fallen lassen!«
» Bitte«, flehte Sara. Ihre Muskeln konnten nicht mehr. Ihre Hände wurden schwächer.
Ohne Vorwarnung hörte der Druck plötzlich auf. Sara sah das Skalpell in die Höhe schwingen und in das Fleisch des Mannes eindringen. Er hielt ihre beiden Hände fest umklammert, während er sich das Skalpell immer und immer wieder in den Hals stieß.
10 . Kapitel
W ill war nun schon so lange mit Amanda in dem Auto gefangen, dass er Angst hatte, er würde das Stockholm-Syndrom entwickeln. Er spürte bereits, dass er schwach wurde, vor allem, nachdem Miriam Kwon, die Mutter von Hironobu Kwon, Amanda ins Gesicht gespuckt hatte.
Zu Mrs. Kwons Verteidigung musste man allerdings hinzufügen, dass Amanda nicht gerade sanft mit der Frau umgesprungen war. Sie hatten sie in ihrem Vorgarten praktisch überfallen. Sie kam offensichtlich von der Vorbereitung der Beerdigung ihres Sohnes nach Hause und hatte Broschüren mit Kreuzen darauf in der Hand, als sie auf das Haus zukam. Ihre Straße war zugeparkt. Sie hatte ihr Auto in einiger Entfernung abstellen müssen und wirkte erschöpft und schwach, wie jede Mutter aussehen würde, nachdem sie den Sarg ausgesucht hatte, in dem ihr einziger Sohn beerdigt werden sollte.
Nach einer flüchtig hingeworfenen Beileidsbezeugung im Namen des GBI ging Amanda ihr quasi direkt an die Kehle. Aus Mrs. Kwons Reaktion schloss Will, dass die Frau nicht erwartet hatte, den Namen ihres toten Sohnes auf diese Art besudelt zu sehen, trotz der schändlichen Umstände seines Todes. Es gehörte zu den Grundsätzen der Nachrichtenstationen Atlantas, jeden toten jungen Mann unter fünfundzwanzig Jahren als ausgezeichneten Studenten zu feiern, bis das Gegenteil bewiesen war. Nach seinem Vorstrafenregister war dieser spezielle ausgezeichnete Student ein Fan von Oxycodon gewesen. Hironobu Kwon war zweimal wegen des Verkaufs der Droge verhaftet worden. Nur seine akademischen Leistungen hatten ihn vor einer ernsthaften Gefängnisstrafe bewahrt. Vor drei Monaten hatte der Richter eine Entziehungskur angeordnet. Offensichtlich hatte das nicht sonderlich funktioniert.
Will schaute auf die Zeitanzeige seines Handys. Seit der Umstellung auf die Sommerzeit arbeitete das Gerät nach dem militärischen Zeitmodus. Er konnte im Leben nicht herausfinden, wie man das änderte. Zum Glück war es eine halbe Stunde nach Mittag, was hieß, dass er die Umrechnung nicht wie ein Affe an den Fingern abzählen musste.
Auch hatte er nicht die Zeit für langwieriges Rechnen. Obwohl sie an diesem Vormittag fast fünfhundert Meilen gefahren waren, hatten sie nichts vorzuweisen. Evelyn Mitchell war noch immer verschwunden. Seit ihrer Entführung waren knapp vierundzwanzig Stunden vergangen. Die Leichen häuften sich, und der einzige Hinweis, den Will und Amanda bislang erhalten hatten, war aus dem Munde eines Insassen des Todestrakts gekommen, der danach ermordet worden war, bevor der Staat ihn töten konnte.
Ihr Ausflug ins Valdosta State Prison hätte ebenso gut auch nie stattgefunden haben können. Die früheren Detectives des Drogendezernats Adam Hopkins und Ben Humphrey hatten Amanda angestarrt, als würden sie durch eine Glasscheibe schauen. Will hatte das erwartet. Vor Jahren hatten sich beide geweigert, mit ihm zu sprechen, als er bei ihnen vor der Tür stand. Lloyd Crittenden
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