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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Wirklichkeit der Great Plains und westlich davon, die Kämpfe, von denen die Show handelte, noch geführt, die gezeigten Abenteuer noch erlebt wurden –Cody selbst und seine Krieger und Häuptlinge waren eben noch aktiv an den Indianerkriegen beteiligt gewesen. Und mancher würde es wieder sein, kaum daß die Tournee vorüber und er in die Heimat zurückgekehrt war. Amerika, so lautete Codys Botschaft, nicht an Karl May, sondern an die Welt, Amerika ist die große Erzählung, die größte unserer Zeit. Und nur einer erzählt Amerika – Amerika selbst. So ist es geblieben, bis heute.
    Cody hatte seine Truppe in den Badlands angeworben, im Pine-Ridge-Reservat, wo Black Elk lebte. Zuerst tourte die Sioux-Show durch die USA, im Winter 1886/​87 traten Black Elk und seine Stammesgenossen im Madison Square Garden in New York auf. Im Frühjahr ging es über den Ozean nach England, das Goldene Kronjubiläum von Königin Victoria stand an. Noch als alter Mann würde Black Elk sich voller Stolz daran erinnern, vor «Grandmother England» persönlich gastiert zu haben.
    Bis hierher, bis zu diesem Aufenthalt in London, teilte Black Elk seine europäische Erfahrung mehr oder minder mit den anderen Showleuten. Das änderte sich an dem Morgen, an dem das Schiff, das sie heim nach Amerika bringen sollte, in Liverpool auslief. Mit drei anderen Sioux hatte Black Elk im Hafenviertel fast die ganze Nacht durchgemacht. Als sie erwachten, war es viel zu spät: Ihr Schiff war fort, ohne sie. Irgendwie gelang es den vier gestrandeten Indianern, sich nicht nur nach London durchzuschlagen, sondern sogar Arbeit in einer anderen Show zu bekommen. Sie heuerten bei der Truppe von Mexican Joe an, längst nicht so groß und berühmt wie «Buffalo Bill’s Wild West». Mit ihr setztendie vier über den Kanal und tourten quer durch Europa. Dort kam dem Schamanen der Gedanke, die Truppe zu verlassen, um auf eigene Faust weiterzureisen – nein, nicht erst dort, sicher hatte er daran schon länger gedacht. Nicht die nächste Show beschäftigte ihn, die nächste Gage, der Fortgang der Tournee, er wollte weg davon, allein weiterreisen, übers Mittelmeer nach Osten, nicht mehr als Showsioux, sondern als Pilger oder besser als Suchender. Black Elk wollte nach Jerusalem.
    Es wühlte in ihm. Einer wie er konnte die weiße Übermacht und Überlegenheit, das Ende der Zeit der Indianer, ihrer Ideen von Leben, Welt und Gott, nicht einfach hinnehmen. Er wollte den Untergang, den er nicht aufhalten konnte, wenigstens verstehen. Er war Schamane, ein durch und durch geistlicher Mann, den Visionen heimsuchten seit seinem neunten Lebensjahr. Nicht Gewehre und Eisenbahnen schienen ihm kriegsentscheidend zu sein, der Geist war es, die Medizin, die Große Vision der Weißen – ihr Messias. Und der hatte in Jerusalem gelebt, da wollte er hin. Jerusalem war der heiligste Ort der Weißen. Wo, wenn nicht dort, würde er, Black Elk, die Chance haben zu begreifen, warum alles so gekommen war?
    Was für eine Idee, was für eine innere Kraft. Der Showindianer fern der Heimat tritt aus der Arena, schüttelt den Hokuspokus ab, schaut dem weißen Mann in die Augen und sagt: Zeig mir deinen Gott. Ich will ihn sehen, ich gehe hin, jetzt. Die Entdeckung beider Amerikas, der spanische Goldraub im Süden, die Landnahme im Norden, die Eroberung eines ganzen Kontinents fürdas Abendland – für einen Moment kehrt sich die Richtung der Welt um. Millionen waren nach Amerika gegangen, um es zu besitzen. Jetzt brach einer von dort, ein Sioux aus den Badlands, in die Gegenrichtung auf. Er hatte eine Frage: Was sehe ich, wenn ich die Quelle des Abendlands sehe, seine Wiege, seine Krippe, seine Passion? Verstehe ich dann? Löst sich das Rätsel dort?
    Er kam nicht bis Jerusalem. «Mexican Joe brachte uns nach Paris, dort gastierten wir lange. Es gab ein weißes Mädchen, das oft in unsere Show kam. Sie mochte mich und nahm mich mit nach Hause, um mich ihren Eltern vorzustellen. Die mochten mich auch und waren gut zu mir. Von Paris gingen wir nach Deutschland und von dort an einen Ort, wo die Erde brannte. Es gab einen hohen Berg, geformt wie die Spitze eines Tipis, der rauchte oben. Ich hörte, daß hier vor langer Zeit eine große Stadt und viele Menschen in der Erde verschwunden waren.» In Neapel brach Black Elk seine Reise nach Jerusalem ab. Das Geld reichte nicht für die Überfahrt und einen Aufenthalt dort. Er sah sich gezwungen, den Plan aufzugeben, und kehrte zurück nach

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