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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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störte mich aus diesem Gleichmut auf und erinnerte mich daran, was möglich war. Richtige Restaurants, nicht bloß Plains-Diner, die von ferne aussahen wie aufgegebene Farmhäuser, und von nahem auch.
    Ich lief durch die kurze Straße der Speiselokale vonSioux City und wählte das italienische, obgleich ich ahnte, daß eine solche Bezeichnung nicht wörtlich zu nehmen war. «Italian» bedeutet bei einem Restaurant, was «Dressing» bei einer Speise heißt – das Anklicken einer Geschmacksrichtung unter drei möglichen. Ich wollte vorsichtig sein und bestellte, weil ich den Nudelsoßen mißtraute, eine Pizza. Das war Unfug, ich hätte ein Steak bestellen sollen, sonst nichts.
    Als die Pizza kam, erkannte ich sie nicht, aber meinen Fehler. Noch in der Küche war sie einem Anschlag zum Opfer gefallen. Der Koch hatte mein Abendessen unter einer Lawine aus geschmolzenem Käse begraben. Er fand nichts dabei, er hielt es immer so und gab seinen Gästen nur, was sie wünschten. Du hättest es wissen können, sagte ich mir. Hast du dich nicht schon in der Prärie über die Liebe der Amerikaner zum Käse gewundert, über den fingerdicken Käseschmelz auf den Tellern der Diner-Gäste? Sie schienen ganz närrisch danach zu sein. Es war schwer, ein Gericht ohne dicke Käseschwarte zu finden. Ich begann, sie abzulösen, mit dem Messer, darin erwarb ich mir bald die Geschicklichkeit eines Jägers.
    Mein Kamerad, der Motelfernseher, ließ mich auch in dieser Sache nicht im unklaren. Er zeigte mir immer wieder in Nahaufnahme, worum es ging. Wurde für ein Fertiggericht geworben, von denen sich hier viele zu ernähren schienen, ging die Kamera im entscheidenden Moment ganz nahe an den glücklichen Zubeißer heran und zeigte die Orgie aus Glücksfäden, Käsefäden, wie sie sich aufreizend lang und langsam von der überschmolzenen Speise zum Munde zogen – ein Anblick,der europäischen Werbefilmern unvorteilhaft, wenn nicht abschreckend erschienen wäre. Hier war er Inbegriff der Essenslust und des Wohlgeschmacks.
    Ich verließ den Ort des Käseattentats und versuchte im Wirtshaus gegenüber mein Glück. Ein Song von Neil Young lief, und weil das Wirtshaus so weiträumig und nicht sehr hell beleuchtet war, entdeckte ich das große Wandbild erst nach einer Weile: Bomber über Feldern. Die Bomber waren vom Typ B-17, und die Felder erkannte ich intuitiv auch, aber es dauerte ein wenig, bis ich im ganzen begriff, was ich da sah, über die volle Wand gemalt – diese kleinteilig gegliederte Feldflur, vom Himmel her betrachtet. Es waren deutsche, es waren unsere Felder, aus der Pilotenkanzel eines Bombers gesehen. Und an den anderen Wänden hingen dicht an dicht kleine, gerahmte Fotografien aus dem Luftkrieg gegen Deutschland, es mußten Hunderte sein.
    Immer wieder B-17 – sie hatten die großen Bombenangriffe ausgeführt, Fliegende Festungen, meist mit weiblichem Kosenamen auf dem Flugzeugrumpf und im Stil von Filmplakaten gemalten langbeinigen, halbnackt posierenden Mädchen dazu. Vor den Maschinen, sofern sie am Boden waren, posierten eng beieinander die Besatzungen in Bomberjacken und Fliegermontur. Piloten mit ihren Bordschützen und Navigatoren und anderen Kameraden, in die Kamera lachend. Ich vergaß, daß ich Hunger hatte und auf der Suche nach Essen hereingekommen war. Statt dessen lief ich durch das Lokal wie durch eine Ausstellung. Nach und nach erkannte ich Gesichter wieder, sah immer wieder die gleiche Crew. Keine anonymen Kriegsfotos hingen hier,man schien die Geschichte eines bestimmten Fliegers, seiner Freunde und seiner Einsätze zu zeigen.
    Ich fragte eine Kellnerin, und sie gab mir freundlich Auskunft: Ja, ganz recht, auf vielen Fotos sei der Vater des jetzigen Wirtes zu sehen als Bordschütze einer B-17 damals im Krieg. «Dies ist ein Themenlokal, das Thema ist der Zweite Weltkrieg.» Der alte Herr habe vor vielen Jahren begonnen, seine Gaststätte so zu dekorieren, nun führe sein Sohn, bei der Luftwaffe auch er, die väterliche Idee fort.
    Sie fragte, was sie mir bringen solle. Ich dankte ihr und entfernte mich. Die Siegesfeier dauerte an in diesem Gasthaus, auch wenn keiner der Gäste so wirkte, als nähme er daran teil. Gut möglich, daß ich als einziger an diesem Abend die Feier überhaupt noch bemerkte und die Fotos ansah. Für die meisten war das alles vermutlich nur eine etwas ungewöhnliche Kneipendekoration. Ich hatte Hunger und hätte gern ein Bier getrunken, aber mein Blick schweifte immer wieder von

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