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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Manchmal holte er sie hervor, die Pfeife oder andere Ritualgegenstände, manchmal benutzte er sie und erklärte sie seinen Kindern. Träumte er noch?
    Als Neihardt vor ihm stand, wußte Black Elk, was zu tun war. Das Erbe war zu kostbar, um es in einer dunklen Ecke verrotten zu lassen. Andererseits, es war vorbei, die uralte Erbfolge zerschnitten, die Welt, in der seine Visionen ihre Bedeutung gehabt hatten, untergegangen. Er war vielleicht der letzte Sioux, der diese Welt noch in ihrer ganzen Fülle in sich trug. Was tun? Starb er stumm, starb die Siouxwelt mit ihm, unwiederbringlich. Er würde nicht stumm sterben, er würde sprechen. Ein einziges, ein letztes Mal. Er würde sein Leben, seine Große Vision, alles, was er wußte und gewesen war, diesem Weißen dort schenken, der aus Bancroft, Nebraska, angereist war, um ihn ein wenig zu interviewen für seineigenes Buch, das ihn, Black Elk, nicht interessierte. Er sagte Neihardt, ja, wir reden, aber es wird ein anderes Buch. «Ich bin ein Lakota vom Oglala-Verband», so hob er an. «Meines Vaters Name war Black Elk, und schon sein Vater trug den Namen, so wie der Vater seines Vaters ihn getragen hatte – ich bin der vierte, der diesen Namen trägt. Mein Vater war ein Medizinmann, wie mehrere seiner Brüder. Er und der Vater des großen Crazy Horse waren Cousins. Ich wurde geboren im Mond der Berstenden Bäume (Dezember), am Little Powder River, im Winter-als-die-vier-Bisonkühe-getötet-wurden (1863).» Dann erinnert sich Black Elk an seine frühe Kindheit. Eine gewonnene Schlacht gegen die U S-Armee hallte lange nach unter den Lakota: das Heldenepos von den hundert erschlagenen Weißen in der Erinnerung der Indianer, ein von den Indianern verübtes Massaker in der Erzählung der Weißen. Als Junge erlebte Black Elk den Goldrausch. «Oben am Madison Fork fanden die Wasichus (die Weißen) das gelbe Metall, das sie anbeten und das sie verrückt macht, in großer Menge, und nun forderten sie Wegerecht durch unser Land zum Ort des gelben Metalls; aber mein Volk wollte den Weg nicht. Er würde den Bison verschrecken und vertreiben und immer mehr Wasichus herbeischwemmen wie ein Fluß. Sie sagten uns, sie wollten nur einen schmalen Weg, nicht mehr, als zwischen zwei Wagenräder passe; aber unsere Leute wußten es besser. Und jetzt, wenn du dich umschaust, dann siehst du, was sie wirklich wollten.»
    Dann erzählte er Neihardt von der Großen Vision, die ihm in jungen Jahren zuteil geworden war, angekündigtvon einer unerklärlichen Schwäche und Lähmung, die ihn plötzlich befallen hatte, von seiner Entrückung in die jenseitige Welt, seinem Flug dorthin, den Wesen, die er dort traf, von seiner Einweihung und seiner Rückkehr als neuer Heiliger Mann der Lakota, wieder im Fluge.
    Soviel vom alten Schamanen war noch in ihm, daß er spürte, dieser Weiße ist ein Bruder. Später erzählte er, er habe einen Geist hinter Neihardt gesehen, der den weißen Dichter zwang, zu ihm zu kommen. In der Tat gab es etwas Zwingendes, ein Band zwischen den beiden Männern, die sonst nichts verband – ein Traumgesicht annähernd im gleichen Alter.
    Mit elf Jahren lag John Neihardt im Fieber. Ihm träumte, er flöge über die Welt, und er fühlte, einer flog neben ihm, ein brüderlicher oder väterlicher Begleiter. Bald darauf begann er zu schreiben. Es muß ihn elektrisiert haben, nun, fünfzig Jahre danach, eine nicht unähnliche Vision von diesem alten Sioux erzählt zu bekommen, dem sie als Neunjährigem zugeflogen war und dessen spiritueller Sohn er nun wurde. Denn Black Elk adoptierte Neihardt. Was er ihm anzuvertrauen gedachte, durfte er der Tradition nach nur einem Sohn schenken.
    Black Elk erinnerte sich und sprach, er sprach lange, und Neihardt schrieb, was ihm der Alte in seiner Sioux-Sprache anvertraute, in seiner Dichtersprache auf. Er schmückte hier ein Detail aus, fügte dort einen Passus hinzu, so war er mit seinen anderen Stoffen auch verfahren – doch dieses Buch unterschied sich radikal von seinen homerisierenden Epen. Durch den weißen Dichter hindurch sprach Black Elk.
    Man konnte ihn nun hören, in Amerika, in Europa, wenn man wollte, sogar bis Jerusalem. Er hatte die Lösung des Problems gefunden, das ihn bedrückte: ein guter Katholik zu sein, aber zugleich der letzte Sioux in voller Bedeutung. Er war seine Schlangenhaut losgeworden – an die ganze Welt, und Jonathan Gneisenau Neihardt war sein Bote. Wenn dessen amerikanische Ilias fast vergessen wäre, würde

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