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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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«Black Elk Speaks» immer noch gehört werden. Und so kam es auch.
    Ich trat aus Neihardts Haus und ging in den Garten. Ein Vorgefühl von Frühling lag in der Luft. Zum ersten Mal fielen mir die Robins auf, mit großem Eifer zogen die erzamerikanischen Vorgartenvögel Regenwürmer aus der Erde. Neihardts Garten war gar keiner, er war ein Symbol. Ein Kreis, in dem zwei Wege sich kreuzten, der schwarze von Ost nach West, der rote von Süd nach Nord – die kosmische Ordnung, der Kern von Black Elks Großer Vision. Der schwarze Weg ist der Pfad der Mühsal und der Härten des menschlichen Lebens. Den roten, den spirituellen Weg zu gehen, ist das Ziel, die Erlösung. Wo beide Wege sich kreuzen, wächst der Baum des Lebens.
    Es gibt ein amerikanisches Märchen,
das
Märchen des weißen Amerika, «The Wizard of Oz». Ein Mädchen aus Kansas wird von einem Tornado ins Land hinterm Regenbogen getragen, in dem eine Hexe herrscht, und der einzig sichere Ausweg aus dem verhexten Land ist die Yellow Brick Road – nur wenn sie ihr folgt, findet sie heraus und heim. Mein Weg, dachte ich, hat von all diesen Wegen etwas. Ich ging den roten Süd-Nord-Weg – wenn auch in die entgegengesetzte Richtung, dasmußte ich zugeben. Und kreuzte dabei alle paar Meilen den schwarzen Weg, all die schwarzen Wege westwärts, die Trecks der Mühsal, der Härten, der Eroberung, aus ihnen war Amerika gemacht. Und auch der Yellow Brick Road erwies ich eine kleine Reverenz, lief ich doch auf einem schmalen Pfad zwischen den Trucks und den Drahtzäunen der Rancher und Farmer, inmitten von Warnungen vor Amerika, vor Texas, vor Berglöwen.
    Die guten Leute von Nebraska
    Der Wind trieb Sonnenkörner über die Straße, den Mais des vergangenen Sommers. Teerfüllungen hatten ihre Fugen im Beton verlassen und krochen als schwarze Schlangen umher. Hier war Farmland, soweit der Blick reichte. Felder, Weiden, Zäune, es roch nach Erde und Benzin. Ein grauer Tag, aber da war ein Leuchten jenseits der Wolken, ich ging leicht.
    Ich näherte mich einem Farmhaus. Viele Farmen lagen im Hinterland, nur ein hohes Lattentor kündigte sie an, andere schmiegten sich an die Straße, von weitem an ihren Windschutzwäldchen zu erkennen – noch immer waren die Kongregationen aus Laubbäumen und Tannen kleine Sensationen im baumlosen Land, und noch immer umgaben Schleier aus Einsamkeit diese Häuser. Menschen sah ich fast nie, höchstens Hofhunde. An sonnigen Tagen suchte ich den Schatten der Farmhauswäldchen, bis mich die Hunde fanden und fortjagten. Jetzt suchte ich Schutz vor dem heftiger wehenden Südwind.
    Die kleine Farm war verlassen, offenbar schon länger. Das gelbe Haupthaus verfiel, der Schuppen stand offen, ein Mensch oder ein Tier hatte darin ein Loch in die Erde gegraben, breit und tief wie ein Gully. Durchs Fenster schaute ich ins leere Wohnzimmer, nur die Puppe eines Kindes schlief im Staub. Gern hätte ich mich drinnen umgesehen, aber ich wollte die Tür nichteinschlagen, und so setzte ich mich auf die Veranda, in den verwitterten Korbstuhl, den einzigen, den die Farmer hinterlassen hatten, sah eine Weile der Straße beim Nichts-weiter-als-eine-stille-Landstraße-Sein zu und dem Wind beim Maistreiben, dann stand ich auf, der Korbstuhl ächzte ein letztes Mal, und war wieder auf der Straße.
    Sie war ein ernster Gegner, sie spielte mit mir. Ich übte mich darin, nicht zurückzuschauen, die Straße wartete nur darauf. Sie entmutigte mich immer, wenn ich der Versuchung, mich umzudrehen, nicht widerstand. Ich nahm mir vor, sie zu überlisten, wählte einen toten Baum als Landmarke, ging eine Stunde, vergewisserte mich durch einen Blick auf die Uhr, gut drei Meilen war ich gegangen, aber wenn ich mich umsah, spottete die Straße meiner Berechnung – der tote Baum war nicht drei Meilen entfernt, er stand verblüffend nahe hinter mir; wie im Traum, wenn Gummibänder ihr Spiel mit dem Fliehenden treiben, lief ich und lief und kam doch nicht voran. Die drei gelaufenen, berechneten Meilen schrumpften beim Blick über die Schulter zu einer Meile.
    Die Meile – sie stand im Bunde mit der Straße, sie war ein widerborstiges Ding. Wie ein alter Militärmantel schwer ist und steif und seinen Träger erst prüft, bevor er bereit ist, sich ihm anzubequemen, so war die Meile. Dagegen war der Kilometer ein leichtes Trekkingjäckchen. Dreißig Meilen vor dem Fuß zu haben, hieß einen vollen Tag Mühsal und Kampf. Dreißig Kilometer: Sieben Stunden, dann bist du da.

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