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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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der Karte, die mir die Kellnerin in die Hand gedrückt hatte, zu der allzu vertrauten Landschaft unter der Bomberflotte. Die Feier dauerte an, und es war nicht meine. Ich war hier der falsche Gast.
     
    Der Morgen danach zog wolkenverhangen herauf. Ich legte den zerknitterten Regenmantel nach ganz oben im Rucksack und brach auf, um Sioux City in südlicher Richtung zu verlassen, doch die Stadt wollte nicht enden. Jedesmal, wenn ich glaubte, sie läge nun hinter mir, alle Tankstellen, Autohändler, Truck- und Trailerhändler, alle Kirchen und Konfessionen, Konfessionen,die ich nicht einmal dem Namen nach kannte, tauchte noch ein Autohaus auf, noch eine Kirche.
    Hier, in Iowa, wehte ein schärferer Wind als in Dakota, er trieb die Wolken fort, der Regen blieb aus. An einer Tankstelle fand ich eine Bank, saß in der Sonne, schaute jedem Dodge nach, der vorbeifuhr, schloß die Augen, sie brannten vom Staub. Staub verhieß Sommer, die Macht des Winters schien endlich gebrochen. Dessen Spuren waren gut lesbar im plattgedrückten Gras – ein ausgedehntes Labyrinth von Mauspfaden, angelegt in der langen Zeit unterm Eis. Jetzt, nach der Schneeschmelze, lag das Maussystem unnütz und offen da. Ich mußte an das Wandbild in der Siegerkneipe denken – unnütz und offen hatte das Land dagelegen, das deutsche Maussystem mit seiner Verdunklungsteerpappe in den Fenstern und den himmelwärts offenen Häusern – und die Feldflur, nicht einmal wert, bombardiert zu werden.
    Ein Gruß riß mich aus meinen Gedanken, ich beeilte mich, ihn zu erwidern. Hier war Grüßland. Man grüßte einander, ganz und gar Fremde eingeschlossen. Wer auf dem Weg vom Kiosk zum Auto meine Bank passierte, nickte, tippte sich an den Hut, rief mir ein Grußwort zu. Gestern noch ein Hobo im Gegenverkehr, war ich über Nacht zu einer grüßenswerten Person geworden, die man nahm wie einen alten Bekannten, sogar auf der Landstraße wurde ich gegrüßt, aus jedem schnell fahrenden Auto heraus. Daß diese Liebenswürdigkeit in kleiner Münze gespendet wird, setzt sie nicht herab, zieht vielmehr den Fremden in den vertrauten Kreis, dem eine so lakonische Geste genügt. Es spieltekeine Rolle, ob ich auf dem Bürgersteig einer kleinen Stadt herumlungerte oder auf dem Schotterrand einer Landstraße marschierte, viele Meilen entfernt vom nächsten bewohnten Ort – ein leichtes Heben der Hand oder auch nur des Zeigefingers am Lenkrad war mir sicher, und ich erwiderte die Geste. Es fiel mir leicht, sie war antrainiert, es war ein Ritual vom Land, aus der Provinz, ich hatte es nur lange vergessen.
    Manchmal, wenn es mir lästig wurde, jedes, wahrhaftig jedes Auto zu grüßen und jeden Truck, heftete ich den Blick auf den Weg und sah eine Weile nicht auf – ein Versuch, ein kleines Experiment. Würde das Grüßen aufhören, wenn ich mich ihm entzog, wenn ich nicht zuerst grüßte? Die Versuchsreihen zeitigten immer das gleiche Ergebnis: Die Geste kam, egal, was ich tat. Schaute ich wieder auf, lief ich in den nächsten Gruß hinein. So war die Provinz, egal wo, so hatte ich sie in Erinnerung, so war sie geblieben bis zu diesem Tag in Nebraska – ich gehörte dem nicht mehr an, aber ich sah es gern.
    Der Medizinmann mit dem Rosenkranz
    Endlich auf der 77! Die alte Nord-Süd-Straße sollte von nun an mein Pfad sein, von Sioux City bis hinunter zum Rio Grande. Einmal nicht den Westweg nehmen, den Siedlerweg, einmal alle Trecks und Westwege schneiden, alle Schußfäden des losen Gewebes namens Amerika. Durch Nebraska gehen, durch Kansas, durch Oklahoma bis in den äußersten Süden von Texas. Erst an der mexikanischen Grenze endete die Route 77, in Brownsville, am Ufer des Rio Grande. Die Enttäuschung war groß, als ich meine Straße erreichte – sie begann als autobahnartig geteilter Highway, ihn zu Fuß zu gehen war verboten.
    Ein paar Minuten stand ich unschlüssig am Straßenrand, da hielt schon ein Auto, und der Fahrer rief: «Need a ride?» Es war das erste Mal, daß ich diese Frage hörte, das zu zwei Silben verknappte Zauberwort. In den Monaten, die vor mir lagen, würde ich es noch oft hören, ein paarmal erlöste es mich aus übler Lage. Der es mir jetzt aus dem heruntergelassenen Seitenfenster zurief, fuhr allein, ein Mann von Ende Dreißig mit gekräuseltem Haar, dunkelhäutig, aber nicht schwarz. Ich stieg ein.
    «Hi, I’m Harvey.» Er sei unterwegs nach Pender, erklärte er mir, auf der Suche nach Arbeit und einem neuen Leben. «In Pender brauchen sie

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