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Hartland

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Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Paris, wo gerade Buffalo Bills Truppe gastierte. Cody bot Black Elk an, wieder einzusteigen, doch der war voller Unruhe. Eine Traumvision versetzte ihn in große Sorge um das Schicksal seines Stammes, er zog es vor heimzukehren und bat Cody um das Geld für die Überfahrt nach Amerika. Der war großzügig genug, es ihm zu geben. Im Herbst 1889, nach bald drei Jahren unterwegs in Europa, traf Black Elk wieder in Pine Ridge ein, im Reservat. Ein Jahr später kam es zum Massaker am Wounded Knee Creek.
    Ich hatte mich in Bancroft nach dem Haus durchgefragt, das ich suchte – das von John G.   Neihardt. Er war der Mann, dem Black Elk sein Leben erzählt hatte. Ich fand ein kleines Museum und dahinter weiß und bescheiden das Gartenhäuschen, in dem er seine Werke geschrieben hatte. Der Schriftsteller aus Nebraska stammte von eingewanderten Deutschen ab, von Siedlern und Pionieren. Das G. in der Namensmitte sah amerikanisch aus, stand aber für Gneisenau. Dieser Jonathan Gneisenau Neihardt war angetreten, der Homer des Wilden Westens zu werden, der Sänger der Great Plains.
    In seinen Augen bot der amerikanische Westen alles, was ein Großepos brauchte: junge und alte Helden, ihre Schlachten, ihre Frauen. Freunde, die zu Feinden wurden. Aufstiege, Untergänge – all die Dramen einer rohdiamantenen Zeit. Ein Reimwerk in fünf Bänden, von antiker Wucht und Ambition, daran schrieb er. «Songs» nannte er sie, auch darin homerisch: Gesänge. Nun saß er am fünften Epos, «The Song of the Messiah». Es handelte vom letzten indianischen Aufbäumen, dem «Ghost Dance», und dessen Ende in Wounded Knee. Und weil er das Gefühl hatte, mehr authentisches Kolorit zu brauchen, wandte sich Neihardt an Black Elk, einen der letzten noch lebenden Zeugen der Tragödie.
    Als er ihn aufsuchte, 1930, waren vierzig Jahre seit dem blutigen Tag vergangen. Black Elk war alt geworden. Er war nicht nur Katholik, er warb eifrig für seinen Glauben, als Missionar. So standen die Dinge, als Neihardt in seiner Tür erschien, auf der Suche nach etwas Farbe für sein Epos. Es kam anders. Nicht er benutzteden alten Sioux, dieser benutzte ihn. Andere weiße Autoren hatten Black Elk schon gedrängt, ihnen sein reiches Leben und Wissen anzuvertrauen, er hatte sie alle abgewiesen. Neihardt bat er herein. Er sah etwas in diesem Weißen, und ihn selbst bedrückte etwas. Dem alten Schamanen kam ein Gedanke.
    Er war verzweifelt nach Wounded Knee. Er hatte seiner Großen Vision, die ihn auszeichnete vor seinem Volk, ihm aber auch Pflichten auferlegte – es zu führen, ihm beizustehen in dieser Stunde höchster Gefahr   –, nicht gerecht werden können. Nichts hatte er tun können, beinahe nichts. Gut, er hatte an jenem blutigen Tag einige Verwandte vor den Soldaten gerettet, und dann war er todesmutig ins feindliche Feuer geritten. Nur mit seinem heiligen Bogen bewaffnet, gab er vor aller Augen eine Probe seiner Auserwähltheit als heiliger Mann – und? Seine Aufgabe erschöpfte sich nicht darin, mit persönlichem Mut ein paar junge Krieger zu beeindrucken, sie forderte ihn auf, das Schicksal seines Volkes zum Guten zu wenden. Wo war die Inspiration, wo war die Kraft, was konnte er tun? Nichts. Er hatte die Sioux nicht retten können.
    Seit über fünfundzwanzig Jahren war er ein treuer Katholik und würde es bleiben bis an sein Ende. Er hatte geheiratet nach Wounded Knee und eine Tochter bekommen, es gab ein Foto, auf dem er ihr den Rosenkranz erklärte. Mit diesem Foto warb die Jesuitenmission unter den Sioux. Und Nicholas Black Elk hatte selbst viele seiner Leute zur Kirche geführt. Zu den Protestanten hielten die Sioux Abstand, trugen sie nicht die Staatskirche ihrer Eroberer? Ihre Missionareund ihre Soldaten kämpften in den Augen der Indianer denselben Kampf gegen sie. Die Katholiken hingegen standen dem puritanischen Siedlerstaat distanzierter gegenüber. Ihre Holy Rosary Mission hatte mitten im Kampfgebiet gelegen während des Massakers, und ein katholischer Priester war fast umgekommen bei dem Versuch, zwischen den Fronten zu vermitteln.
    Dennoch – wo war Nicholas Black Elks erstes Leben geblieben? Hatte er den Schamanen, der er so inständig gewesen war, abgestreift wie eine Schlangenhaut? Die komplexe Welt seiner Visionen und Traumgesichte, in welchem Seelenwinkel hatte er sie verborgen? Das alles hatte doch gelebt, es war nicht nichts, es war er selbst gewesen. Er hatte sich gehäutet, aber er verbarg seine jungen Jahre nicht vollends.

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