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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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besorgt anschaute. Sie sei die Sekretärin hier, sagte sie und bot an, mir beim Ausfüllen der Kriminalbögen zu helfen, die unberührt vor mir auf dem Tischchen lagen. «Ich weiß, es fällt manchen schwer. Wenn Sie möchten, lese ich Ihnen die Fragen vor und trage Ihre Antworten ein, ja?» Freundlich hatte sie es gesagt, mit einem Lächeln, was konnte ich tun, ich nickte, und sie begann.
    «Waren Sie jemals in psychologischer Behandlung? Haben Sie je Drogen genommen? Wann haben Sie das erste Mal Alkohol getrunken? Sorry, ich muß diese Fragen stellen.»
    «Schon gut. Meine erste Flasche Schnaps habe ich mit vierzehn getrunken, mit meinem Freund an seinem Geburtstag, wir haben aber nur ein Drittel geschafft, es ging uns danach so elend, daß erst mal jahrelang Ruhe war.»
    Sie warf mir einen nachsichtigen Tante-Polly-Blick zu, und wir fuhren fort, die Liste abzufragen und zu beantworten. «Je im Gefängnis gewesen? Noch eine Reststrafe offen? Sind Sie auf Bewährung draußen? Are you a sexual offender?»
    Ich mochte die alte Dame. Ich begann, mich unbehaglich zu fühlen bei dem, was ich tat. Ihre Fragenkolonnen beantwortete ich mit einem stereotypen Nein. Keine Reststrafe, keine Bewährung, kein Vergewaltiger – nein und nein und nein. Was hatte ich hier verloren? Ich stahl ihre Zeit, und ich stahl ihr Mitleid. Ich half ihr bei der Schreibweise deutscher Namen und Orte, das tat mir gut.
    «Kinder?»
    «Zwei Kinder, ein Junge, ein Mädchen.»
    «Die Namen bitte.»
    Ich nannte sie, buchstabierte sie, sie schrieb mit, plötzlich legte sie den Stift beiseite. «Meine zwei Vögel sind meine Kinder», sagte sie und ein bißchen leiser noch etwas, ich meinte das Wort «geschieden» herauszuhören.
    Ich wollte das hier beenden, aber ich wußte nicht, wie, es ging nicht, nicht jetzt, es hätte ihrer weißhaarigen Güte, die vielleicht eher ihr guttat als mir, einen gemeinen Stoß versetzt. Ich sollte nun meinen Rucksack auspacken, Stück für Stück, wie an der Nordgrenze, und alles abgeben für die Nacht bis auf wenige Dinge. Sie sah mir beim Auspacken zu, verwundert. «So etwas habe ich hier noch nie gesehen», sagte sie. «Haben Sie gedient? Eine Tasche so zu packen, das lernt man beim Militär.» Sie betrachtete alles, was ich ihr reichte, nahmes vorsichtig zu den anderen persönlichen Dingen und ließ mir manches durchgehen, was ich nach der strengen Regel von Barbs Obdachlosenorden eigentlich hätte abgeben müssen. Sie arbeitet stundenweise hier, dachte ich auf einmal, sie tut es, um sich ein paar Dollar dazuzuverdienen. Müßte sie es nicht, brächte sie ihre Nachmittage im Country Club zu, in der Gesellschaft, der sie eigentlich angehörte. Eine in die Jahre gekommene, etwas traurige Tante Polly ist sie, dachte ich, die nicht mehr arbeiten sollte. Die einen Sohn haben sollte, einen Tom, der ihr beisteht.
    Je mehr ich ausfüllte, angab, auspackte und über die alte Dame nachdachte, desto heftiger rüttelte ein Wort in mir: Raus! Raus hier, und zwar sofort. Hier ist alles falsch. Ich gab gerade alle meine Sachen ab, alles sollte gewaschen werden, desinfiziert. Ich wurde zu einem, der die Krätze hat. Wurde aufgefordert, auch das zu waschen und zu desinfizieren, was ich am Leibe trug. Sonst würde man mich hier nicht übernachten lassen. Man führte mich in den Raum mit den Waschmaschinen und zeigte mir, wo das Waschmittel stand. Ich hatte aber das, was ich anhatte, erst gestern gewaschen, im Handwaschbecken eines Motels, mit Motelseife. Ein paar Sekunden noch sah ich mir dabei zu, was ich gerade tat, dann sagte ich: «Hören Sie, Madam, ich habe eine Entscheidung getroffen. Bitte verzeihen Sie mir, aber was Sie da verlangen, kann ich nicht tun. Ich gehe jetzt.»
    Die alte Dame versuchte nicht, mich umzustimmen. Sie wandte sich an ihre Chefin und sagte: «Barb, er will fortgehen.» Barb verstand das nicht gleich, sie fragte mich, ob ich lieber mit einem jüngeren oder mit einemälteren Mann ein Zimmer teilen wolle, und ich wußte, wen sie meinte, den Fuchs und den Stier. Ich sagte nichts, und Barb sagte: «Wir stecken ihn zu Gerald.» Das war der Stier. Ich warf den Rucksack über, hastig hatte ich meine Sachen wieder eingepackt, entschuldigte mich noch einmal bei der warmherzigen alten Dame und ging zur Tür, so ruhig ich nur konnte.
    Ich rannte aus Fremont hinaus, auf den Highway zu, plötzlich erschien mir die öde Landschaft aus Motels, Imbissen und Tankstellen als das Reich der Freiheit und die gen Himmel

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