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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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ging am Lutheran College vorüber, sah in dessen blitzneuer Sporthalle einem Basketballspiel zu, ein paar Spielzüge lang, passierte ein paar Straßen weiter das Catholic College und versuchte, mir die verwirrend langen Namen der Kirchen am Weg zu merken, kam aber bald durcheinander. Schließlich erreichte ich das Zentrum von Fremont, aß einen übersüßen
turtle cheesecake
in einem Café und fragte die Kellnerin, wo ich in Fremont übernachten könne. Die Motels lägen draußenam Highway, sagte sie, «aber gleich um die Ecke gibt es ein
shelter
, da wohnt man umsonst.»
    «Ein
shelter

    «Es ist ganz neu, wirklich nett. Ich wohne auch da. Ich bin nicht aus Fremont, ich arbeite hier nur und kann mir ein Motel nicht leisten.»
    «Ein
shelter
, ist das nicht ein Obdachlosenasyl?»
    «Ja, Obdachlose übernachten da auch.»
    Ich fand das beschriebene Haus und die beschriebene Tür. Ein starker Geruch nach süßen Bonbons schlug mir entgegen, als ich sie öffnete. Man verwies mich an Barb. Ich hatte viele Dicke gesehen bisher, aber Barb war dicker als alle vor ihr, vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil sie so klein war und ihr rotblondes Haar so lang. Bis hinab zu den Fingerspitzen umfing es ihre altsteinzeitliche Venusfigur als halb durchsichtige Mantille. Barb drückte mir ein vierseitiges Aufnahmeformular in die Hand, damit war ich eine Weile beschäftigt an einem kleinen Tisch in einer Ecke. Nachdem ich es ausgefüllt hatte, war die Sache aber nicht ausgestanden.
    Barb reichte mir nun die Spezialformulare zu strafrechtlich bedeutsamen Aspekten meiner Person. Ich nahm sie zögernd an, ich mochte nicht mehr, schon was ich bereits angegeben hatte, war viel zuviel, ich hatte mein Leben, soweit es in Formularen erfaßbar war, vor Barb und ihrem Staat offengelegt. Wer immer das ausgefüllte Formular in der Hand hatte, der Sheriff, die Polizei, die Drogenfahndung, wußte so einiges über mich. Ich ging zurück zu meinem Tisch in der Ecke, ließ den neuen Wisch liegen und sah den Leuten zu, die hier ein und aus gingen, den Mühseligen undBeladenen – dem dünnen Jungen mit den unsteten Augen, der alle paar Minuten über den Flur des Nachtasyls streifte; dem Mann, der jetzt zur Tür hereinkam auf seinen stämmigen Beinen, die kurze Hose lenkte den Blick auf sie; der verhärmten Frau mit dem Kind. Der junge Unstete strich über den Flur und durch die Welt wie ein Fuchs auf der Suche nach Gelegenheiten. Der Stämmige kam drängend herein, den Kopf gesenkt, drauf und dran, die Welt auf die Hörner zu nehmen, die ihn nicht brauchen konnte und in das Asyl der unnützen Stiere sperrte. Die Frau, die Frau – sie erinnerte mich an jemanden, ich wußte nicht, an wen. Ich sah ihr graues Gesicht, ihre verschatteten Augen, ich sah ihr das Leben an, das sie führte. All die Flure, in denen sie stand, immer stand sie, stand auf, stand an, stand es durch, und wenn sie einmal ging, sah es nur so aus, als ginge sie irgendwohin, eigentlich stand alles um sie her still. Wann war es gewesen und wo, daß sie zuletzt unbekümmert erwacht und ihrer Wege gegangen war, hinaus in den Tag?
    Neue süßliche Bonbonschwaden zogen herüber, sie lösten einen kleinen Alptraum aus. Du bist gar nicht hier, weil du nur mal reinschauen wolltest. Du bist hier, weil du hierher gehörst. Den Moment, als du klingeltest und die Tür aufging und du hineingingst und sie hinter dir zufiel – du kannst ihn nicht ungeschehen machen, du bist und bleibst jetzt hier. Falsch abgebogen, einmal zuviel. Lange hast du’s vermeiden können, aber etwas in dir wollte nicht mehr vermeiden, was letztlich unvermeidlich sein würde, wie du lange schon ahntest. Mach deinen Frieden und stell dich nicht so an wegendes Bonbonsprays, besser süß als saurer Schweiß. Nichts gegen Barb, hörst du, sie tut, was sie kann, sie meint es gut mit euch Burschen. Du siehst doch, es stimmt, was die Kellnerin sagte, Barbs Asyl ist frisch gestrichen, alles prima in Schuß, picobello, das muß man zugeben. Wirklich, hier die Nächte zu verbringen, ist keine Schande. Warm habt ihr’s und rein, und morgen früh wird man euch einen Kaffee gewiß nicht verwehren und ein Auge zudrücken, wenn ihr eine Zigarette im Freien raucht, vor der unscheinbaren Tür mit der Klingel. Du zögertest vorhin, sie zu drücken, nun füge dich, nun drückst du sie jeden Tag.
    Eine sanfte Stimme holte mich aus der Erstarrung, sie gehörte der älteren Dame, die herüber in meine Ecke gekommen war und mich

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