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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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meiner Reise geworden – der einzige herrische, keine anderen Töne neben sich duldende Ton, allenfalls vergleichbar unserem Kirchengeläut. Aber ihm fehlte die abendliche, die sonntägliche Vertrautheit der Glocken. Jedesmal klang es wie das Trompeten eines Wesens aus einer anderen, eisernen Zeit und ihrer heroischen Pläne.
    Im Jahre 1862 setzte Präsident Lincoln einen solchen Plan ins Werk – eine Eisenbahn quer durch den Kontinent vom Atlantik bis zum Pazifik. Ein eisernes Band, Amerika in eins zu binden, wenn der brudermörderische Krieg zwischen Nord und Süd beendet sein würde. «Nation building» mit Hammer und Amboß. Schon ein Jahrspäter, 1863, begannen zwei Arbeitsheere, das Eisenband zu legen – der eine Heerhaufen vom kalifornischen Sacramento aus, der andere von Omaha her. Der kalifornische Haufen heuerte zehntausend chinesische Kulis an, der östliche rekrutierte Iren und demobilisierte Bürgerkriegssoldaten. Zwei lebende, lärmende Staubwolken setzten sich in Marsch, zusammengesetzt aus Schmieden, Köchen, Schwellenlegern, Gleisschleppern, Jägern, und schoben sich, Gleise, Brücken, Bahnhöfe hinterlassend, aufeinander zu, durch Wüsten und Berge die eine, die andere durch das Meer aus Gras. Sechs Jahre waren vergangen, als sie in den Bergen von Utah aufeinandertrafen, im Mai 1869.   Das Wort «done» wurde durchs ganze Land telegraphiert. Fertig. Geschafft.
    Es war erst der Anfang. Die Bevölkerung von Omaha würde sich in den nächsten zehn Jahren verdreifachen, die von Nebraska in den nächsten zwanzig beinahe verzehnfachen. Während in Amerika die eisenbahnbegeisterten Siegesfeiern nicht enden wollten, regnete es in Europa Flugblätter. Auf Schwedisch, Tschechisch, Deutsch wurden Siedler geworben für Tausende neu zu gründender Ortschaften entlang der Trasse. Mein Finger folgte ihnen quer über die Karte von Omaha nach Westen. Hintereinander lasen sie sich wie ein Telegramm der Visionen und Mühsale ihrer Gründer: Lone Tree. Silver Creek. Coyote. Antelope. Medicine Bow. Granite Canyon. Red Desert. Salt Wells. Devil’s Gate.
    Die Eiserne Zeit, sie war lange vorbei. Ich hatte Omahas Bahnhof gesehen, den extraprächtigen Bahnhofspalast auf dem Hochufer des Missouri. In seinem riesigen Speisesaal hatte sich der Geldadel des jungenWestens vergnügt, unter riesigen realistischen Wandbildern, die die Landnahme der Siedler feierten und den Geist dieses Westens – sogar er war nur noch ein Museum. Die einst vor Verheißung summenden Gleise fand ich herausgerissen.
    Omaha hatte sich neuen heroischen Plänen zugewandt, immer wieder. Es schien sein Schicksal zu sein, sich stets aufs neue in die Frontstadt zurückzuverwandeln, die es von Beginn an gewesen war, seine Lage lud dazu ein. Erst kamen Missionare, Pelzhändler und Indianeragenten und errichteten hier, hart an der Grenze zur Wildnis, ihre Blockhütten und Vorposten – auch das Militär war von Anfang an dabei. Es galt, den anfangs tröpfelnden, aber bald unablässig strömenden Zug westwärts zu beschützen und zu ermuntern. Später im Hotel fand ich ein Buch, «America’s Heartland», und darin die Beschreibung eines dieser Züge durch Ezra Meeker, einen englischen Siedler. Auf seinem Weg nach Oregon rastete Meeker vier Tage lang in den Plains, und weil er die Muße dafür hatte und einen Sinn für Statistik, zählte er die Wagen, Tiere und Menschen, die seinen Rastplatz passierten. Auf eintausendsechshundert Wagen kam er, und jeder Wagen wurde von sechs Tieren gezogen und von fünf Menschen begleitet. Auf jedes Zugtier aber kamen noch einmal drei freilaufende Tiere im Durchschnitt. Meeker rechnete: In den vier Tagen seiner Rast waren ungefähr achttausend Menschen und achtunddreißigtausend Tiere an ihm vorbeigezogen.
    Als er seine Erinnerungen später aufschrieb, schickte er voraus, die englische Sprache habe keine Begriffe für das, was er gesehen hatte. «Da war eine sich vorwärtsbewegende Masse aus Mensch und seelenlosem Vieh, manchmal vermischt in unentwirrbarem Durcheinander, hundert Fuß breit oder mehr. Und manchmal zogen zwei Wagenkolonnen, zwei Marschsäulen parallel – eng nebeneinander, um das freilaufende Vieh am Ausbrechen zu hindern. Aber meist war es eine einzige ununterscheidbare Masse aus Kühen, Jungvieh, Pferden und Männern zu Fuß an den Rändern. Auf all das senkte sich bei ruhigem Wetter der Staub so dicht, daß vom Wagen aus das Gespann nicht zu sehen war; wie der Nebel von London, so dick, daß man ihn

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