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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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fast hätte schneiden können.»
    Vermutlich bestanden diese Züge westwärts zu je einem Drittel aus armen Schluckern auf der Suche nach Land und Gold, aus Entrepreneurs und Händlern – und aus Sektierern, die in der Alten Welt niemand mehr haben wollte und in der Neuen mitunter auch nicht. 1846 schlug die aus Illinois verjagte Sekte vom Buch Mormon in der Gegend von Omaha ihr Winterlager auf und wagte im folgenden Jahr den gefahrvollen und verlustreichen Marsch durch die Plains zum Großen Salzsee. Zehn Jahre später rüstete Omaha den Goldrausch in Colorado aus, mit Gerät, Proviant und Waffen.
    Auch im neuen Jahrhundert blieb Omaha ein Vorposten. Amerikas Kriegsindustrie siedelte sich an. Omaha schmiedete die Waffen für den Sieg über Deutschland und Japan. Hier wurden sie gebaut, Enola Gay und Bock’s Car, beides Bomber vom Typ B-29.   Enola warf Little Boy, warf ihn auf Hiroshima. Bock’s Car warf die andere Atombombe auf Nagasaki.
    Gleich nach dem Krieg nahm das Strategische LuftkommandoSAC seinen Sitz in der alten Frontstadt. Die Offutt Air Force Base steuerte im Kalten Krieg von Omaha aus Amerikas strategische Luftstreitkräfte und Nuklearmacht weltweit, jede Basis, jeden Satelliten, jede Superfortress und Stratofortress und deren immer intergalaktischer klingende Nachfolger, jeden mit Atomwaffen bestückten Bomber, jede Interkontinentalrakete. Fielen Bomben auf Vietnam, konnte es sein, daß Omaha sie schickte. Das alles war nun vorbei, Offutt gab es zwar noch, aber das SAC nicht mehr. Omaha schien mir ein wenig mit sich allein geblieben zu sein. Omaha, betörendes Wort.
    Eine Stadt am Missouri, ein Strand in der Normandie. O – A – A.   Lang, kurz, kurz. Klopfzeichen an der Zeitzellenwand. Ein Stamm, vergessen bis auf den Namen. Omaha, überlebendes Wort, ein Klang wie Dakota, Lakota, Wovoka – so hatte er geheißen, jener letzte Indianerprophet, der Messias des Ghost Dance. Junge Leute zogen an meiner Bank vorüber, ich hörte ihre ausgelassenen Stimmen, das Lachen der Mädchen, sie tanzten auf dem Weg um den See, irgendwer hatte Musik dabei, irgendwo lief ein Lied.
    Ich stand auf, es war Zeit, etwas für die Nacht zu suchen, und bemerkte, wie eine alte Gewohnheit sich einstellte. Auf einmal war ich wieder wählerisch. Man schickte mich hierhin und dorthin, sogar über den Fluß nach Iowa. Ich sah das Motel und machte kehrt, zurück in die Stadt – bloß nicht wieder an die toten Ränder, in ein Motel an der Interstate. Ich wußte nicht genau, warum, aber ich wollte unbedingt in die Stadt, ins Zentrum von Omaha. Ich fragte einen Mann nach einerguten Unterkunft. Er schickte mich, nachdem er einen Blick auf mich, meine Kleidung und meinen Rucksack geworfen hatte, in entgegengesetzter Richtung aus der Stadt hinaus, zu einem wirklich billigen Motel, wie er versicherte. «Steig ein, ich fahr dich hin, ist nur ein kleiner Umweg für mich.»
    Unterwegs erzählte er von seinem Leben in Alaska, in tiefster Wildnis, fernab von jedem bewohnten Ort. «Die meisten Leute kriegen schlechte Laune, wenn es heißt, kein Licht, kein fließend Wasser, kein Mensch, nur Grizzlys und Wölfe – bei mir ist es genau umgekehrt.» Er habe dort eine Hütte in völliger Einsamkeit, in die ziehe er sich zurück, sooft es nur gehe. Er hielt vor dem Motel, es war genauso trostlos, wie ich es erwartet hatte. Er lächelte mir aufmunternd zu. «Eine Matratze, einen Kaffee, ein gutes Gewehr, mehr braucht’s doch am Ende nicht, was?»
    Ich dankte ihm, stieg aus, tat so, als ginge ich in das Motel, wartete, bis der gute Mann davongefahren war, und lief die ganze Strecke, die er mich hinausgefahren hatte, zurück in die Stadt. Du findest etwas Besseres, den Satz hatte ich lange nicht mehr vor mich hingemurmelt, in der Prärie gab es nichts Besseres, das Beste war das, was es eben gab. Hier war es anders, etwas wartete auf mich, dessen war ich sicher. Ich lief weiter, immer weiter, bis ich vor dem Haus stand, das ich gesucht hatte – ein altes, elegantes Hotel.
    Mein Zimmer hatte Aussicht auf das Gefängnis von Omaha. Verließ ich das Hotel und ging in die andere Richtung, kam ich nach Europa. In einem Backsteinviertel, in roten Geschäftshäusern und Werkstätten ausder Gründerzeit von Omaha, hatte man es hergerichtet, mit Bars, Restaurants und dem unbegreiflichen Luxus gutsortierter Kaffeeröstereien, Feinkost- und Weinhandlungen – ein kleines Europa, unbegreiflich real für einen, der aus der Prärie kam, täuschend

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