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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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ragenden Werbemasten wie versteinerte urweltliche Baumriesen. Unter ihnen wollte ich ausruhen, den schlechten Traum, der mich heimgesucht hatte, vergessen. Als ich mir einen Pappbecher Kaffee holte, erfuhr ich beiläufig, daß sich an dieser Tankstelle, unter diesem Mast, eine Bushaltestelle befinde, der Bus nach Omaha halte genau hier – zehn Minuten noch, und er sei da. Omaha! Eine Stadt, eine richtige Stadt. Omaha würde heilen, was ich in Fremont angerichtet hatte und Fremont in mir.
    Frühling in Omaha
    «Gänse oder Enten?» fragte der junge Mann, sein Mädchen im Arm, den alten Mann auf der Parkbank und zeigte auf die frühlingstoll lärmenden Vögel am See. «Schwäne», sagte der Alte, das war gelogen, es waren keine Schwäne, die dort ihre weißen Flügel spreizten, bloß Gänse, und der Alte war ich. Seit geraumer Zeit saß ich auf dieser Bank im «Heartland of America», so hieß der Park, an diesem ersten warmen Tag im Jahr, in meiner Wintermontur – schwarze Hose, dickgefütterter schwarzer Armeeparka, Kapuze überm Kopf –, und konnte kaum glauben, daß der lange Winter, aus dem ich kam, vorüber sein sollte.
    Aber die Zeichen waren unübersehbar. Die Sonne hatte sich doch bewegt, sie brannte jeden Tag heißer, und der Park füllte sich mit Amerikanern jeden Alters in kurzen Hosen. Schon an grauen, frostigen Spätwintertagen hatte ich sie darin herumlaufen sehen – eine Nation der Boy Scouts, der ewigen Pfadfinder. Fast jedes Heimatmuseum bot eine kleine Boy-Scout-Abteilung. Wenn ich es recht betrachtete, war ich der einzige im Heartland-Park, der noch seine Beine bedeckte.
    Etwas veränderte sich, ich spürte es deutlich. Ich hatte mich treiben lassen und mir nie Gedanken über den Weg gemacht. Er hatte mich geführt, in die Prärie, die sagenhaften Great Plains, durch ein Amerika, verstanden als etwas sehr Weites, nahezu Leeres, wo einem unterwegskeine Menschenseele begegnete, es sei denn, man suchte sie oder stellte sich ihr in den Weg, und auch dann war es nicht sicher, ob man auf einen Menschen traf oder auf ein Gespenst. Jetzt verdichtete sich das Land, es füllte sich mit Gestalten, sie traten näher und stellten mir Fragen nach Gänsen und Enten, nach meinem Wohin und Woher. Würde es von nun an enger werden, voller und damit auch gewöhnlicher, unfreier?
    Freiheit war ein Wort aus dem Fernseher. Die Reden vom Land der Freien, sie wehten über mich hinweg. Ich hörte sie abends im Motel, wenn es zu spät war, irgendwohin zu gehen, und zu früh zum Schlafen. Was das war, frei, mußte mir niemand beibringen – etwas sehr Schlichtes. Die Gedanken sind frei, damit fing es an, ohne diesen mitunter als innerlich verachteten ersten Satz der Freiheit gab es sie nicht. Der Rest war körperlich, eine Sache von Waffen und Handschellen und Türen ohne Klinken.
    In der Grenzstation war ich nicht frei gewesen, seither war ich es ganz und gar. Es ist Raum, es ist Zeit, es geht weiter – so lautete die kürzeste Bestimmung von Freiheit. So war ich in Amerika unterwegs gewesen bis jetzt, und eigenartig – diese Freiheit, ich hatte sie gar nicht bemerkt, geschweige denn bedacht. Das mußte die größtmögliche Freiheit sein: nicht zu merken, daß sie um einen ist, wie die Luft zum Atmen. In den Plains, eher ein Zustand als eine Gegend, war ich versunken; wie sehr, merkte ich erst jetzt, da ich wieder auftauchte. Ich strich die Kapuze vom Kopf, zog den Reißverschluß auf, schloß die Augen, bereit, mich der neuen Sonnehinzugeben, dem fröhlichen Schnattern am See, den jauchzenden Stimmen dieses heiteren Tages in Omaha.
    Ein neuerlicher Trompetenstoß riß mich aus meinen Gedanken, wieder rollte ein Güterzug durch die Stadt und über den Fluß, eine der schier endlosen eisernen Karawanen, die durch Amerika zogen, wohin ich auch kam, in einem Tempo, das es nicht ungefährlich, aber auch nicht unmöglich erscheinen ließ, auf so einen Kornwaggon aufzuspringen oder auf einen Tankwagen, wie die Hobos der Depressionszeit es getan haben. Ich kam nie in Versuchung, die Züge waren immer zu weit weg, geistergleich zogen sie durchs Land, unerreichbar für einen zu Fuß, und machten sich einen Spaß daraus, mit einem jähen Trompetenstoß zu erschrecken. Der konnte in die Einsamkeit einer Landstraße im brettflachen Nirgendwo fahren, oder er erwischte mich in der Stadt im Schlaf. Immer kam er unerwartet, immer ging er durch Mark und Bein, bei Tag und in der Nacht. Das Trompeten der Lokomotiven war ein Grundton

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