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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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tranken derweil ein Bier und schauten dem fröhlichen Aufruhr zu.
    Die Mutter der Mädchen war eine herrliche Frau, sie paßte ganz und gar in das Phantasiegemälde aus Pioniertagen. Sie war sein Mittelpunkt, sie hätte sich dafür nur rasch umziehen müssen. Ein langes Kleid statt der Jeans, viel mehr war nicht nötig, um sie in die strahlende Heldin eines Ölbildes aus der Zeit der Planwagen zu verwandeln. Sie stammte von einer Pferderanch in Nordkalifornien, war zur Armee gegangen, hatte in einer U S-Kaserne in England bei den Feldjägern gedient, hatte dann Jake geheiratet und die drei Töchter geboren.
    Die beiden Männer standen immer noch am Feuer, sie sprachen über irgendwelche Arbeiten am Haus oder an ihren Autos, die sie planten, jeder ein Bier in der Hand, ich saß auf einer Couch, ganz damit beschäftigt,anzusehen, was es zu sehen gab. Was sah ich? Da stand Jake, kleiner als der große, laute Gene, und ab und zu flog ein Lächeln über sein Gesicht, wenn seine Mädchen durch den Raum schwirrten oder seine Frau in der Tür erschien. Er war stolz auf sie, das sah ich. Sie waren die Freude seiner Augen, wenn sie ihn kurz ablenkten von seinem Männergespräch, in dem es an Kraftausdrücken nicht fehlte.
    Diese Leute sind arm, bemitleidenswert arm. Wer sagte das, wer redete so? Ich konnte mir nicht helfen, irgendwer stand neben mir, hinter mir und warf diesen abschätzigen Blick auf die Szene, in der ich saß. Und, ja, ein rohes Bauernhaus, in dem Mensch und Tier um ein offenes Ofenfeuer herum beisammenlebten – hatte ich so ein Haus nicht zuletzt in den Bergen von Nepal betreten? So war es, und da waren ältere, vertrautere Bilder. In gegenwartsdeutschen Augen bin auch ich als Kind arm gewesen, bemitleidenswert arm, aber mir ist es damals nicht so vorgekommen.
    Arm war, wer hungerte und fror und sich nicht helfen konnte. Wir hungerten und froren nicht und konnten uns helfen. Wir hatten ein Haus und einen Garten, und auch wenn nicht alles Rasen und Goldrand war, wenn es nur sonntags Fleisch und Kuchen gab und werktags einfache Speisen und manchmal ein Butterbrot, mit Zucker bestreut, den Kuchen ersetzte und luxuriöse Dinge wie Fernseher und Telefon erst nach und nach einzogen und später als anderswo – wir hielten uns doch nicht für arm. Und waren es darum auch nicht.
    Alle Erinnerung an diese Zeit war in Arbeit getaucht. Man arbeitete. Man arbeitete von früh bis spät, und wer«von der Arbeit» kam, wie es hieß, der aß und trank etwas und ruhte ein wenig aus, bevor er sich erneut an die Arbeit machte. Alles baute, Haus um Haus entstand. Umbauen, anbauen, neu bauen, ausbauen. Ziegelschlag und Hammerklang, unterlegt vom eintönigen Mahlen Zigtausender Betonmischmaschinen, das war die Musik jener Jahre.
    Auch ich arbeitete in den großen Ferien. In dem Sommer, als ich rebellisch wurde, arbeitete ich auf dem Güterbahnhof. Wir hatten Pakete in Waggons zu packen, tagein, tagaus, ein Schulkamerad und ich. Um die Arbeitswut um uns her zu verspotten, brüllten wir auf Verabredung plötzlich die Älteren an: «Arbeiten! Arbeiten! Los, los, los!» Und packten die Pakete schneller und wilder als je zuvor und lachten uns dabei halb tot. Es war die Zeit, als die Söhne und Töchter der Arbeitsmänner und Arbeitsfrauen des Nachkriegs diesen vorwarfen, ihr besinnungsloses Arbeiten sei eigentlich nur ein Schaufeln am Gedächtnisgrab gewesen, etwas Düster-Heilloses. In meiner Erinnerung war es eine helle, schmucklose, hungrige Zeit. Wie Jakes Mädchen durchs Farmhaus sprangen, so legten die Leute los – wie entlassen, wie freigelassen, und das waren sie auch.
    Vielleicht schaute ich mit solcher Wärme auf Jake und seine Familie, weil sie mich an das rohe, karge Glück erinnerten, an das gewisse Licht, in das meine Kinderjahre getaucht waren. Auch Jake und die Seinen waren nicht arm, auch sie taten nicht so. Sie beklagten nicht die schlichten Umstände, in denen sie lebten, sie freuten sich darüber, dieses Farmhaus hier draußen gefunden zu haben, der Farmer hatte es ihnen vermietet, unddie Freude war echt. Es war ein Anfang, sie hatten fürs erste etwas erreicht, ein Haus für alle fünf, nun wollten sie zusehen, etwas daraus zu machen.
    Die Älteste hatte jetzt eine Tasche gefunden, damit stürmte sie herein, es konnte losgehen. Mich würden sie mitnehmen nach Lincoln. Durch den Matsch vor dem Haus staksten wir zum Familienwagen, die drei Töchter sprangen auf die Rückbank, mir wies ihre Mutter den

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