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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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schwarzes T-Shirt faßte den Bauch nicht, er quoll darunter hervor. Es war egal, ganz egal. Er legte los auf seiner Mundharmonika, als ginge es um Kopf und Kragen. Um das einzige, alles entscheidende letzte Wort vor seinem Richter. Um nichts als die Wahrheit, ums nackte Leben. Die junge Band nach ihm – schnelle, harte Texasmusik, Johnny Winter, frisiert bis zum Anschlag und darüber hinaus – war nicht minder hingerissen von dem Dicken, sie baten ihn auf die Bühne, und der Sänger überließ ihm für ein paar Stücke das Mikrophon. Kein Neid, keine Spur davon. Ehre, wem sie gebührt. Respekt. Reine Musik.
    Noch einer hockte auf der Bank, der Verhockteste von allen, der letzte. Nur die nackte Gitarre in der Hand, war er von der Straße hereingekommen, kein Mensch, kein Lebender mehr, ein Nachtmahr in Schwarz, Ausgeburt eines wüsten Traums. Strähnen seines dünnen, pechschwarz gefärbten Haars hingen herab, ab und zufuhr seine knochige Hand hoch, um den Flor zu richten. Die Sonnenbrille mit den insektenaugenartig kleinen Gläsern, das Gesicht wächsern und bleich wie der Tod. Was wollte er hier, spielen? Er sah nicht so aus, als habe er noch die Kraft dafür, als sende sein Hirn mehr als das Testbild. Jetzt stand er auf, stöpselte die Gitarre ein, stellte sich, krumm und dürr, wie er war, ans Mikrophon, richtete abermals den Strähnenflor und spielte und sang los wie der Teufel. Laut, hart, schnell. Unfaßbar schnell. Als er fertig war, war es, als sei die Nacht explodiert und sinke und schwebe als Nachtstaub auf uns noch immer Benommene herab. Die Rock-’n’-Roll-Ruine ließ den Hut herumgehen, steckte das Geld in die Hosentasche und wankte hinaus. Ich trank mein Bier aus und ging auch. Die Nacht war warm.
     
    Am Tag darauf lief ich so viele Meilen, wie ich noch niemals gelaufen war, morgens lief ich los, lief den ganzen Tag bis in die Nacht. Schmetterlinge lagen zu Tausenden an der Straße. Weil sie so leicht waren, zerfetzten die Autos sie nicht beim Aufprall wie die größeren Tiere, heil lagen sie da, ein Schmetterlingstuch. «Adult Videos», Automärkte und BB Q-Restaurants . Schwarze Angusrinder auf den Weiden und grellbunte mexikanische Töpferware am Straßenrand. Del Valle und Wyldwood und über mir die Sonne, der gleichgültige Stern. Als sie über den westlichen Wäldern stand, erreichte ich Blue Heron und das erhoffte Quartier für die Nacht, aber die Lady wies mich ab. Ihr Sohn sah mich kommen, rief seine Mutter, sie erschien am oberen Absatz einer langen Treppe, schritt sie herab, betrachtete mich dabei.Ein paar Stufen über mir blieb sie stehen, hielt den Blick, sagte «Sorry, I have no room available», wandte sich um und schritt die lange Treppe wieder hinauf.
    Ich ging weiter, und zum ersten Mal begegnete ich einem Menschen zu Fuß. Er kam mir entgegen, langsam und wacklig, und nachdem ein Haus auf einem Tieflader vorübergefahren und die Sicht wieder frei war, sah ich ihn endlich von nahem. Einer von der Straße, angetrunken. Er warnte mich, es seien eine Menge «fucking cops» unterwegs, ich solle mich vor ihnen in acht nehmen. Ein kleiner Streit entstand, er drängte mich, auf der anderen Straßenseite zu laufen, das sei legal, hier sei es illegal, das war Unsinn und führte zu nichts, er brach es ab und fragte: «Willst du ’n Bier?» Das hieß: «Hast du ’n Bier?» Er schaute lüstern auf meinen Rucksack. «Nein», sagte ich und wandte mich ab.
    Als die Sonne in die Wälder sank, fand ich ein Mäuerchen, an das ich den Rucksack lehnen und auf dem ich eine Weile sitzen und ausruhen konnte. Zuvor war ich an einem Stuhl-Outlet vorbeigegangen, und die Pein eines Hungrigen vor einem unerreichbaren Stück Brot konnte nicht größer sein als meine vor diesen Stühlen auf dem Rasen hinter dem Zaun, auf die ich so gern sinken wollte.
    «Geh nicht nach Matamoros!», sagte der Wirt des Motels, in das ich in der Dunkelheit gestolpert war, als er meinen Plan hörte. «Jeden Tag Tote. Du fährst Taxi dort, und der Fahrer dreht sich um und tötet dich, damit mußt du rechnen. Früher fuhren unsere Jugendlichen zu jedem Ferienbeginn nach Mexiko, jetzt stehen Schilder an der Grenze, die sie warnen, Mexiko zu betreten.Nein, nicht nur Ciudad Juárez ist lebensgefährlich. Matamoros ist gefährlicher. Geh nicht hin!»
     
    Der nächste Tagesmarsch fiel mir schwer, der lange Tag davor saß mir in den Knochen. Smithville erreichte ich mit Mühe und Not. Ein, zwei Stunden saß ich in «Rob’s

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