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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Süden.
    Ich hatte das Paradies gesehen, gestern in Osttexas, die alte 77 führte mitten hindurch. Die ersten Menschen, sagt man, lebten in einer warmen Savannenlandschaft. So war es dort. Sanfte Hügel, immer wieder Eichenhaine, ein gesegnetes Land. Bei Tage lag ein milchgrüner Lichtschleier über allem, und wenn es Abend wurde und sich die Konturen klarer und die Farben kräftiger zeigten, trat die Komposition dieses lebenden Landschaftsbildes hervor, und das Blendwerk des Tages löste sich auf in ungezählte Schattierungen von Rot, Gold, Grün.
    Ich durchstreifte die Schöpfung in einem frühen Stadium, noch waren Himmel und Erde nicht ganz geschieden, es gab Übergänge. Ein paar Stunden lang durfte ich mir einbilden, der einzige Mensch im Paradies zu sein. Wieder war Amerika leer, aber nicht wie die Prärie, hier war es eine erwartungsvolle, eine an Farben,Schatten und Tieren reiche Leere – die Leere vor der Ankunft des Menschen. Einige Pfade und Hügel hatten schon Namen. Hamanns Road. Henning Hill. Duderstadt Road. Ich lief und lief und kostete es aus, aber als ich auf andere Menschen stieß, war ich doch froh, nicht länger der einzige im Paradies zu sein.
    Im Schatten ausladender Bäume saßen noch drei von unserer Art. Sie sahen aus wie gutgelaunte alte Männer, die wissen, daß das Ende immer nahe ist, und sich die Zeit bis dahin auf die angenehmste Weise vertreiben – im Paradiesgarten unter großen Bäumen sitzen und miteinander ein kühles Bier trinken. Sie bedeuteten mir, mich zu ihnen zu gesellen. Ihr Anführer, ein Hüne, stand auf und gab mir seine Pranke.
    «Hi, I’m Moe.»
    Moe’s Ranch – so hieß das Plätzchen, so hatte ich es auf dem selbstgemalten Schild an der Straße gelesen. «Die kleinste Ranch der Welt», sagte Moe stolz, «anderthalb Morgen.» Dann stellte er mir die beiden anderen vor: «Mein Bruder. Ein Freund. Wir sitzen hier, trinken Bier und schauen zu, wie der Tag vergeht. Und denken an Willie.»
    «Willie?»
    «Willie Nelson, kennst du ihn nicht? Ich sah ihn zum ersten Mal an dem Abend, bevor ich nach Vietnam ging. Das war in San Antonio, damals war er ein kurzgeschorener junger Redneck.» Das seien Äußerlichkeiten, fuhr er fort. «Willie war immer der gleiche, so wie seine Musik. Sollte ich sagen, was Texas ist, fällt mir als erstes Willie Nelson ein. Sag mal, in Berlin ist die Mauer gefallen, wie?»
    «Vor zwanzig Jahren, ja.»
    «Man kann da jetzt einfach so hin und her laufen?»
    «Ja, einfach so.»
    Moe musterte mich. «Wo hast du das Hemd her, das du da trägst, aus Berlin etwa?»
    «Ich hab’s oben in La Grange gekauft.»
    Er nickte erleichtert. «Dacht ich’s mir. So ein feines Cowboyhemd gibt’s nur hier in Texas. Hätte mich gewundert, wenn du’s woanders herhättest.»
    Vor Goliad endete das Paradies. In der brütenden Hitze der Stadt dösten Erinnerungen an General Santa Anna und den mexikanischen Krieg, über den Gräbern der texanischen Patrioten wirbelten schwarze Schmetterlinge wie Ascheflocken. Am spanischen Fort verkaufte eine alte Frau indianische Pfeilspitzen und Patronen aus dem Krieg mit Santa Anna, pfundweise, kistenweise. Die Erde sei voll davon, sagte sie, jedes Jahr schwemme der Regen neue hervor.
    Schon Refugio war gespenstisch gewesen. Verlassene Herrenhäuser, die Läden geschlossen, ihre schlanken Säulen überwuchert, die Federation Street ein Spalier spanplattenvernagelter Häuser, Schaufenster, von einer dicken Staubschicht bedeckt. Den Marktplatz hatten die Eichkatzen ganz für sich. Plötzlich Posaunenstöße. Kurz, kurz, kurz, dann durchdringend lang, sehr nah. Ein rostbrauner Zug fuhr ein paar Meter vor mir über die Purisima Street, er schien kein Ende zu nehmen. Eine Glocke bimmelte die ganze Zeit, eine Ampel zeigte Rot, aber da war niemand, der die Warnung hätte beherzigen können. Wer im Auto durch Refugio fuhr, hielt nicht an, es gab keinen Grund dafür, nicht mal einen Becher Kaffee.
    Ganz flach wurde jetzt das Land, die Nähe des Meeres war spürbar – als Endmoräne schob sich Amerika auf seine südliche Grenze zu, auf den Rio Grande. In Robstown sah ich ein Pferd auf dem Schrottplatz grasen, Driscoll war eine Ansammlung verfallener Wellblechhäuser, alles war rostig, staubig, nackt. Die wenigen Dinge wurden bei ihren rohen Gattungsnamen genannt, als sei ein Eigenname der Mühe zuviel. Die Bar von Bishop hieß «Bar», der Diner hieß «Diner», und der blaßblaue Himmel hätte einen frischen Anstrich

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