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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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auf fünfhundert Millionen zu schrumpfen. «Schweinegrippe? Das ist albern. Sie wollen uns etwas einimpfen.» Dann lachte er auf wie einer, dem plötzlich eine witzige Episode einfällt. «Der Richter im Strafprozeß! Er war so stolz aufsein schönes Court House aus Holz. Wissen Sie, was geschah?» Er lachte wieder und schlug aufs hölzerne Treppengeländer. «Es ist abgebrannt! Genau wie sie unsere Häuser hier abgebrannt haben.»
    Am größten aber, so schien es, war sein Haß auf den Papst und die Katholische Kirche, sie war ihm Satan auf Erden, mehrmals fragte er mich mißtrauisch, ob ich etwa katholisch sei und ein Spion. Wie er die Schrift las, allem voran die Propheten und die Johannesoffenbarung, sprach sie ohne Umschweife zu und von den Seinen und gab den Ereignissen um Mount Carmel und dem Auftreten des David Koresh ihren Sinn, wie auch dem Tod so vieler Brüder und Schwestern und Kinder. Er las die Schrift als Drehbuch des Epos «Die Davidianer – Untergang und Auferstehung». Denn es war noch nicht aller Tage Abend: «Ich glaube nicht, daß Koresh verdammt ist. Ich glaube, er wird großes Zeugnis geben, wird sagen, ich bin nicht Gott, ich bin ein Mensch wie alle. Das wird er sagen müssen. Gott wird ihn zu sich nehmen. Sehen Sie, das mit den Frauen – die Leute hier haben ihn als Messias gesehen, den sündigen Messias, und er hat es zugelassen. Sie haben ihm ihre Frauen und Töchter angeboten, und er hat sie genommen. Er sagte, er werde das Buch der sieben Siegel öffnen, aber das kann nur – sie.»
    «Sie?»
    «Der Heilige Geist, er ist weiblich.» Koresh, fuhr er fort, sei ein Werkzeug Gottes gewesen. «Gott hat uns gestraft. Er straft zuerst die Seinen, heißt es in der Schrift. Und wenn er uns schon so hart straft, wie wird er erst die strafen, die überhaupt nicht an ihn glauben!»
    Betäubt ging ich von dannen, betäubt von der stundenlangen Lektion auf der Holztreppe und von der Erkenntnis, daß ein Pfad von Wittenberg zum Mount Carmel führte. Von der Idee, fortan solle die Schrift und nur noch die Schrift gelten, zu einem exegetischen Wahn, einer Auslegungsobsession, die in der Bibel eine mit Geheimtinte geschriebene Blaupause erkannte, die man nur über die eigene Sektenglut halten müsse, um Gottes Plan für ebendiese Sekte lesen zu können wie ein offenes Buch.
    Schon wahr, Amerika war das Land wenn nicht der Freien, so doch derer, die frei sein wollten, sie alle brachen aus unfreieren Ländern hierhin auf, bis heute. Aber es brachen auch die nach Amerika auf, die in älteren, in Lebensdingen gelasseneren, in Glaubensdingen gefestigteren Ländern niemand vermißte – all die verrückten Sektierer. Auch ihnen bot Amerika einen Platz in seinen Prärien, seinen Wüsten, seinen Städten, auch mit ihnen hatte es sich vollgesogen.
    Die Betäubung wich nicht, nicht auf der Double EE Ranch Road, die ich bald wieder erreichte, nicht auf dem Lake Felton Parkway, nicht im Café im Nirgendwo, einem Brettersaloon wie dem in «Carl’s Corner», in dem Willie Nelson verkehrte, nur kleiner, ärmlicher. Ich bestellte Kaffee und Burger und fragte mich, warum ich Charles nicht gefragt hatte, wie er sein Bein verloren hatte. Die Antwort war, ich hatte ihn eigentlich gar nichts gefragt. Er hatte gesprochen, sehr lange über sehr vieles, und mich in den Kokon seiner Rede eingesponnen. Erst als ich vom Saloontisch aufstand, in den heißen, blauen Tag hinausging und in einer fernen Eckedes Himmels die kleine Wolke erblickte, wich die Betäubung von mir. Seitdem der Hurrikan in die Hochzeit von Waco gefahren war, hatte ich ein Auge auf kleine Wolken.
    Das Rock-’n’-Roll-Gespenst
    Ich ergriff wieder mein Leitseil, die 77, ging über den Brazos River nach Süden, auf Austin zu, und sah Gegenden, in denen die Hurrikans der Hochzeitsnacht noch derber gewütet hatten als in Waco. Ganze Bäume waren aus der Erde gerissen und Dächer von den Häusern. Manchmal hielt jemand neben mir an, manchmal lange nicht. Eine Familie aus Gujarat führte das Motel von Cameron. Als die Hitze und die Geschäftigkeit des Tages sich legten, sah ich die Inder auf dem Rasen vor ihrem Wohnhaus sitzen, ihre Abendmahlzeit im Freien kochen und sie auf Decken und Matten miteinander einnehmen, ganz so hatte ich es vor Jahren in Gujarat gesehen.
    An einem Sonntag ging ich nach Rockdale. In einer Kirche, die unmittelbar an der Straße lag, endete eben der Gottesdienst, und wieder sah ich Leute zum Mahl vereint, aus ihren Pickups trugen sie

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