Hartmut und ich: Roman
Stimme durchs große Bad dem Flur und spricht: »Es gibt ganz klare Vereinbarungen in meinen Beratungsverträgen. Die Kommunikation erfolgt über eMail, nicht über Telefon. Und ich kann auch nicht immer erreichbar sein, wie soll ich das denn dann alles bewältigen? Ich schreibe ihnen doch klipp und klar, dass sie das, was ich ihnen vorschlage, einfach nur tun sollen, egal, ob sie sich danach fühlen oder nicht. Es wird dann schon bergauf gehen. Der Appetit kommt beim Essen, die Befreiung beim Machen, du weißt schon, Lösungen.« Als er das sagt, wird er kurz still und guckt auf die Fußleiste. Wir denken beide an Susanne, die er damals verjagt hat, weil er da noch genauso ein Chaot war wie seine Klienten, die er jetzt berät. Er hat ja auch nicht hören wollen. Er pult mit dem Finger in den Schlosslöchern des Türrahmens, lehnt kurz Körper und Kopf daran, seufzt und sieht aus, als sei er endlich mal wieder der Hartmut, der den ganzen Tag einfach nur in der Wohnung rumlungern und sich über wieder entdeckte Artefakte in Schubladen freuen kann. Dann stößt er sich wieder vom Rahmen ab und geht an seinen Computer zurück. Das Tippen klingt hart, als es einsetzt.
Drei Tage später liege ich in der Wanne und höre nebenan, wie er anfängt zu schreien. »Natürlich!«, brüllt er, »natürlich, wieso solltest du mich auch reinlassen!?« Dann klingt es, als habe er seinen Schreibtischstuhl durch das Zimmer getreten, und er reißt die Tür auf. »Dieses scheiß Internet!«, keift er, und ich fühle mich frevelhaft, wie ich da in der Wanne liege, während er schon wieder seit heute Morgen schuftet, an einem Samstag. Mittlerweile muss er fünfzig Kunden haben, für den Studenten hat er die Einleitung und einen kompletten Abriss der Diplomarbeit geschrieben, »weil das noch weniger Arbeit ist, als dem jeden Schritt zu erklären!«, wie Hartmut gesagt hat. Jetzt läuft er mit den Händen in den Hüften im Bad auf und ab und hat diesen Blick drauf, den Menschen bei Umzügen aufsetzen, wenn eigentlich allen klar geworden ist, dass der Massivschrank nicht durchs Treppenhaus passt, und trotzdem alle noch herumstehen, als könne eine Lösung bar jeder Logik und Physik vom Himmel fallen. »Ich bin jetzt schon sieben Mal online gegangen! Sieben Mal! Mit allen möglichen Verbindungen. Der wirft mich immer wieder raus! Ich kann keine Mails holen, keine Mails senden, ich kann meine Seite nicht aktualisieren, nichts!«
»Dann nimm meinen Computer«, sage ich und ernte Blicke wie von einem Kammerjäger. »Soll ich alle Mailtexte manuell kopieren und dann bei dir online raussenden, oder was? Das ist doch schon alles vorbereitet. Außerdem liegt’s an unserer Scheißtechnik hier. Nicht mal ISDN in dem Haus. Und überhaupt, ich hab doch wohl das Recht darauf, dass mein Werkzeug funktioniert, oder!!??«
»Heiße ich Anderson?«, frage ich.
»Wie bitte?«, fragt er.
»Heiße ich Anderson? Ich vermute mal, so heißen Chefs von Internetprovidern. Ich heiße aber nicht Anderson, ergo kann ich nichts dafür. Also brüll mich nicht so an, wenn ich bade. Ich entspanne hier.«
»Hmpff!«, macht Hartmut und geht wieder in sein Zimmer. Ich höre das leise Klicken der Maus und die gurrenden Geräusche des Modems, dann ist ein paar Sekunden Ruhe. Hartmut klickt wieder und scheint den Posteingang zu öffnen, dann gibt es einen Moment gar keine Geräusche, bevor ein leise anschwellendes, irres Gelächter einsetzt. »Ja. Jahaha. Jahahahahaha!«, macht Hartmut und fiept dabei kehlig, ich höre Fußgetrappel hinter der Tür, und es hört sich an, als fiele seine Zimmerpalme um. »Latürnich! Latürnich!«, quietscht Hartmut jetzt und wiederholt immer wieder eine Art akustischen Algorithmus, er läuft im Raum im Kreis, und ich wundere mich, welche Töne er aus seinem Körper zaubern kann. Dann reißt er die Tür auf, kommt in gespielt lässiger Haltung ins Bad gewippt und grinst mich an, als wolle er sagen: »Sieh her, wie ruhig ich bin. Ich bin ganz ruhig. Es verarscht mich ja nur die ganze Welt und tanzt auf meiner Nase rum, aber ich bleibe natürlich ruhig, wie man es von mir erwartet.« Er beugt sich übers Waschbecken, nimmt die Body-Lotion in der hellblauen Flasche, spritzt sich davon viele weiße Streifen ins Gesicht, was irgendwie unanständig aussieht, richtet sich wieder auf, hält kurz inne und fängt dann tieftonig brummend und summend an, die Creme in Gesicht und Haaren zu verteilen. Dann hüpft er auf einem Bein in sein Zimmer zurück,
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