Hartmut und ich: Roman
Bad, das zu Hartmut führt. Der öffnet in dem Moment die Tür und meckert über den Studenten. »Ist Anti-Stress-Beratung etwa ein Chiffre für ›illegales Fremdverfassen von Diplomarbeiten‹?« mosert er, während er durch den Flur in die Küche rennt und den GEZ-Mann nur durch die Augenwinkel wahrnimmt. »Wer ist das denn?«, fragt er, als hätte ich wieder unangemeldet einen Kollegen eingeladen. »Ich bin von der GEZ, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagt der Mann, aber Hartmut sieht mich entrüstet an, die Tasse in der Hand, und sagt: »Hast du etwa die Tür aufgemacht?« Ich befürchte, dass es gleich Streit geben wird, doch bevor der Gebührenzähler etwas erwidern kann, klingelt das Telefon. »’tschuldigung!«, sage ich betont freundlich zu dem Mann und nehme ab. »Hartmut, es ist eine Klientin, sie will … «
»Nicht am Telefon, zur Hölle noch mal!«, brüllt Hartmut, und ich zucke zusammen und höre, wie die Frau am anderen Ende der Leitung kurz piept und dann auflegt. Der Gebührenzähler schluckt und muss sich an seine Haltung erinnern. »123 Mails! Es sind noch 123 Mails!«, sagt Hartmut jetzt. »Ich habe in der letzten Stunde erst eine bearbeitet, eine! Ich tue nämlich was für die Menschen und breche nicht in ihre Wohnungen ein, um an ihren Fernsehkabeln rumzuschnüffeln!«, sagt Hartmut und mustert den Gebührenzähler wie eine schwarze Bananenschale in einem Mülleimer an der Raststätte. Bevor dieser was erwidern kann, klingelt Hartmuts Handy, und sein Gesicht wird aschfahl. »Ja, ja, gut«, sagt er und drückt auf die Taste. »Das war das Dekanat der Uni«, sagt er. »Wusstest du, dass ich nächste Woche Nebenfachprüfung habe?«
Ich schüttele den Kopf.
»Ich auch nicht mehr«, sagt er leise und geht in sein Zimmer. Der GEZ-Mann nutzt die Chance, um nun auch in unseren Westflügel einzudringen, ich gehe hinterher, und wir beide beobachten Hartmut, wie er unter einem Stapel Klamotten einen Ordner herzieht, in dem fein säuberlich kopierte Texte abgeheftet sind. »Meine Prüfung«, flüstert er leise, der GEZ-Mann sagt »noch ein Fernseher« und macht eine Notiz wie der Schiedsrichter beim Fußball. »Im Grunde hatte ich das meiste davon ja schon gemacht. Wenn ich jetzt die nächsten vier Tage durchlerne und den Klienten allen eine Mail schicke, dass ich wegen Krankheit ein paar Tage pausieren muss. Aber nee, bei der Kielmann kann ich das nicht machen, die braucht jetzt ’ne Lösung. Und die Frau mit dem Mann auch. Aber wenn ich … «
»Sie sollten jetzt vielleicht erst mal diese Anmeldung ausfüllen«, sagt der GEZ-Mann, und als ich Hartmuts Augen sehe, sage ich schnell: »Kommen Sie mit, wir erledigen das!«, und ziehe den Mann in die Küche. Draußen rattert ein LKW über das Kopfsteinpflaster. Es stinkt aus der Waschmaschine. Als ich den Gebührenzähler abgefertigt und aus der Wohnung geschoben habe, gehe ich vorsichtig wieder zu Hartmut wie zu einem Mann ans Krankenbett. Der sitzt krumm vor seinem PC und tippt, die Nase fast auf dem Bildschirm. »Drei Mails hab ich schon. Ich hab jetzt doch mal so ’ne Art Textbaustein geschrieben. Der passt aber nicht auf alle. Da müsst’ ich noch mal systematischer ran.«
»Hartmut … « Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
»Hartmut … « Ich stehe in der Tür und kratze mit der Socke auf den Fliesen. Hartmut stellt gurrend die Verbindung zum Internet her, um wenigstens schon mal die eine Mail rauszuschicken. Wenigstens die eine. Es gurrt, es surrt, es gurgelt, dann sehe ich, wie die Fehlermeldung kommt und das Fensterchen mit der Verbindung wieder verschwindet.
Dann geht es los.
Hartmut drückt nicht mehr auf die Maustaste, um die Verbindung erneut zu versuchen.
Hartmut drückt nicht mehr.
Er atmet leise ein und aus, schiebt den Unterkiefer weit über den Oberkiefer, rollt auf seinem Schreibtischstuhl zurück und steht auf.
»Hartmut?«
Er geht in den Flur und zieht sich die Jacke an.
»Hartmut?«
Ich folge ihm auf die Straße.
In dem Eckhaus vorne an der Kreuzung befindet sich eine Internetfirma. Irgendeine kleine Klitsche, die bestimmt nichts für Hartmuts schlechte Verbindung kann. Hartmut ist das egal. Hartmut stapft auf das Gebäude zu, das mit seinen schwarzen Zwischenstücken und abgerundeten Ecken wie ein Tetrisquader aussieht. Der Kies vom Weg springt zur Seite, um nicht in Hartmuts Sohlen hängen zu bleiben, die er tief in den Boden rammt. Er biegt ab, streift die niedrigen Hecken, geht einmal um das Haus herum und
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