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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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in denen die Stille im Raum anhält. Es ist, als hätte man das Publikum und den Moderator auf Standbild geschaltet und nur ich kann mich bewegen. Leise stehe ich auf, nehme meine Jacke und schlüpfe aus dem Saal.
    Im Foyer steht Hartmut mit dem Kartenverkäufer zusammen und plaudert. Als ich die Treppe hochkomme, sagt der Verkäufer: »Und? Auch noch Nachschub holen?«, und deutet auf den Kühlschrank mit dem Bier. Ich nicke und sehe Hartmut fragend an. Er hat nichts erzählt. Der Verkäufer öffnet mit einem »Plopp!« die Flasche, reicht sie mir und sagt: »Läuft der Film wieder?« Hartmut schüttelt beiläufig den Kopf. »Immer noch Gedichte. Das letzte eben war echt gut!« Dann stößt er prostend seine Flasche gegen meine. Hartmuts Bekannter erscheint auf der Treppe, seine losen Zettel in der Hand. Er guckt ein wenig bedröppelt, aber nicht so, als könne er Hartmuts Aktion gänzlich die Zustimmung verweigern. »Ich lese heute besser nicht mehr«, sagt er. Hartmut nickt und reicht ihm ein Bier. »Besser ist das!«, sagt Hartmut. Der Verkäufer öffnet sich nun auch eine Flasche. Er hat ein spitzes Gesicht mit runder Brille und Halbglatze, obwohl er sehr jung ist. Er grinst. Wir stoßen an. Drinnen läuft wieder der Film.

STRESS
    Diesmal macht Hartmut es richtig.
    Diesmal meint er es ernst.
    Das ist kein spontanes Intermezzo wie damals sein Club für Lebensfreude durch Unperfektheit, auch wenn manche der dort angewandten Methoden jetzt wieder zum Einsatz kommen.
    Das ist ein echtes Geschäft.
    Selten kommt Hartmut überhaupt noch aus seinem Zimmer, er hat eine Hängeregistratur für Kunden angelegt und hält sogar das große Bad und die angrenzenden Räume sauber, weil man nur in einer vollkommen aufgeräumten Umgebung arbeiten könne, in der einem keine Aufgabenberge wie drohende Freischärler im Rücken sitzen. Er praktiziert selbst, was er seinen Kunden rät. Aber er kommt kaum noch aus seinem Zimmer raus. Seit zehn Wochen.
    Die Idee, seine Kurse zur Anti-Stress-Beratung rein übers Internet anzubieten, lag allein in dem beschämenden Auftritt unseres Mietshauses begründet. »Da können wir hier drin noch so gut aufräumen und in jedem Zimmer ein kleines Brünnlein mit Tai-Chi-Musik plätschern lassen: Wenn die Leute draußen die Fassade sehen, denken die sich doch, dass in der Höhle höchstens ehemalige Junkies, aber wohl kaum Lebensberater hausen!«, hatte Hartmut damals gesagt, und wo er Recht hat, hat er Recht. Daraufhin machte er tatsächlich Ernst, durchforstete das Internet nach kostenlosen Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen, fand Hunderte von Angeboten und konnte sich doch davon überzeugen, dass es eines noch nicht gab: persönliche Beratung per eMail, auf ganz private Probleme zugeschnitten, jedes Individuum in seinem Einzelfall wahrnehmend und somit nicht etwa gehbehinderten Frührentnern mit Bandscheibenvorfall und Wohnsitz im Hochhaus direkt an der A 40 ratend, sie sollten in der Natur joggen gehen und doch bitte bei offenem Fenster und frischer Luft meditative Atemübungen betreiben. Hartmut ließ sich von studentischen Bekannten aus den Medienwissenschaften ein Logo entwerfen. Hartmut kramte alles zusammen, was er je über Life-Management gelesen und gesammelt hatte. Er wertete Hörzu, Bild der Frau -Ausgaben und selbst alte Yps -Hefte aus, las Bücher über Bioenergetik, Körpertypentheorie, Alltagspsychologie und das Burn-out-Syndrom und saß teilweise so lange unter der Lampe am Küchentisch, wie er einst hilflos vorm Fernseher gehockt hatte, den er nicht mehr ausschalten konnte. Es schien mir, als breche nun aller Aktionismus, den er jemals in Trägheit, Fehlversuchen und einem gewissen Irrsinn ertränkt hatte, mit einem Schlag wie eine Flutwelle hervor und versorge ihn mit Energie für zwei Jahre kontinuierlicher Arbeit. Nach nur sechs Wochen hatte er den Internetauftritt online gebracht, und seit nunmehr zehn Wochen liefen die Geschäfte. Erst ein Kunde, dann zwei, dann vier, dann hatten sich innerhalb einer Woche die Zahlen fast verzehnfacht. Ich weiß nicht, was er richtig macht und wie, aber eines ist klar: Er macht alles anders. Alles.
    »Boah, die Frau mit dem Mann ist eine harte Nuss!«, sagt er jetzt, als er aus seinem Zimmer kommt und an den Kühlschrank geht.
    »Es gibt viele Frauen mit einem Mann«, sage ich, der ich am Küchentisch sitze und die Anleitung zu Vagrant Story lese, dem raren Rollenspiel für die Playstation, das ich gestern im Secondhandshop ergattert

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