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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Dichter zusammen. »Dann muss sich die Dichtung eben am freien Markt behaupten wie alle anderen auch!« Ich ahne, in welche Richtung das geht. Hartmut ist nicht unbedingt ein Fan des freien Marktes. Hartmut ist differenziert. Aber jetzt, jetzt ist Hartmut sauer, und das Fass läuft über. »Wenn ich der Ministerpräsident des Landes wäre und durch Zufall in diesen äffischen Reigen von Betroffenheitspoeten stolpern würde, dann hätte ich nicht nur die Gelder gestrichen, sondern noch die Subventionen der letzten zehn Jahre zurückgefordert!« Das Publikum dreht sich jetzt komplett zu uns herum, es sieht aus, als wendeten sämtliche Blüten einer Wiese synchron die Köpfe in die Kamera des Naturdokumentators. Im Zeitraffer. Die Frau mit dem roten Schal vor uns kann nicht mehr an sich halten und fängt an zu lachen. Auch sie ist wahrscheinlich kein Fan des freien Marktes mit ihren Formexperimenten. Aber sie kann nicht mehr an sich halten. Hartmut brüllt weiter: »Wie sieht das denn aus? Wie sieht das denn alles hier aus? Wie muss das auf jemanden wirken, der vor lauter moralischem Verpflichtungsgefühl gegenüber der armen kleinen Dichtung nicht schon längst jegliches Urteilsvermögen verloren hat!!!???« Hartmut fuchtelt mit dem Finger in der Luft herum und bläst seinen Hals auf. Ich sinke tiefer in den Sessel, aber muss langsam auch anfangen zu grinsen. Die Frau mit dem roten Schal macht es irgendwie möglich. Wenn sie lacht, darf ich auch lachen. »Entschuld … «, setzt der Moderator leise an, aber Hartmut unterbricht ihn und grollt entschlossen: »Ich bin noch nicht fertig!!!« Dem Moderator bleibt die Stimme weg. Er steht mit offenem Mund hinter seinem Pult und starrt zu uns herüber. Aus dem Publikum ertönt ein ersticktes »Boah!« zwischen Bewunderung und Empörung. Hartmut fährt fort: »Es muss doch für jeden geistig gesunden Menschen hier der Eindruck entstehen, dass für uns das ganze Leben nur aus Leid und Jammer und Hoffnungslosigkeit besteht. Ja, für uns, die … die … «, und da kommt Hartmut auf der Suche nach Worten fast aus dem Tritt, » … die moralischen, subventionierten, selbstgerechten Bildungsbürger!« Das hat gesessen. An einer Stelle fängt einer an zu klatschen, bricht aber sofort ab, als er merkt, dass niemand einstimmt und die Köpfe für einen kurzen Moment den Klatschverursacher suchen. Als Hartmut fortfährt, drehen sie sich wieder rum. »›Man kann keine erfüllte Partnerschaft führen. Liebe ist unmöglich und eine schöne Lüge. Die Welt ist ungerecht und wird immer schlechter. Die Jugend ist verblödet und unfair. Alle da draußen sind raffgierige Profitgeier, und wir sind die Guten.‹ So klingt das alles hier!« Hartmut rammt die Bierflasche auf die Vorderlehne. Bier spritzt über die Sitze. Niemand unterbricht ihn mehr. Es ist die beste Vorführung des Abends. »Wo immer ich hingehe, blättern sie mir dieselben Feindbilder auf. Konsumgeile Menschen, Handybesitzer, Trendsetter, Spießer, die vorm Fernsehen hocken und sich voll laufen lassen. Ja, und!? Lasst sie doch da sitzen, verdammt noch mal! Braucht ihr sie so sehr, damit ihr hier in euren so genannten Gedichten über sie herziehen könnt? Wisst ihr was? Ihr fühlt euch alle so anders, so eigen. Ihr denkt alle, ihr schwimmt gegen den Strom, dabei seid ihr der Strom. Schon längst!« Hartmut atmet kurz ein und weiß, dass dieser Satz seine Wirkung nicht verfehlt hat. Für eine halbe Sekunde tritt ein Ausdruck von Zufriedenheit und sich selbst anstachelndem Selbstbewusstsein in sein Gesicht. Und von Genugtuung. Jetzt dreht er auf. »Hört, wie ich es verkünde!«, ruft er nun auf einmal und hebt seine Hände, die Bierflasche in der linken. »Hört, wie ich, Hartmut, den Ministerpräsidenten preise, auf dass er ein Ende setze dem Betroffenheitsgeseier, tropfend aus Bärten und der Moral, die uns ertränkt zwischen Kinosesseln. Hört, wie ich verkünde die Spaßgesellschaft und die Lust am Konsum, vernehmt, wie ich wünsche, dass eure Gedichte sich im freien Wettbewerb treffen wie Gokarts, die so lange aneinander rammen, bis noch die letzte Hülle der Karosserie abgefallen ist und jeder sieht, dass ihr unter dem Gewand eurer Selbstgenügsamkeit so nackt seid, wie nie ein Kaiser sein konnte! Hört, wie ich spreche, Hartmut, der einzige Dichter in diesem Raum. Auf Wiedersehen!« Dann dreht er sich um, nimmt die Arme runter und verschwindet mit schnellen Schritten aus dem Saal. Nach einem Moment zähle ich die Sekunden,

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