Hartmut und ich: Roman
bitte, wie fühlen Sie sich so kurz vor dem Start?« Das Pferd wiehert ein wenig und der Mann blickt auf mich herab wie auf eine alte Linoleumfliese.
Hartmut dürfte derweil in der Spielhölle im Ruhrpark angekommen sein, um dort den Strom zu kappen, wie es ihm schon einmal in unserem ganzen Viertel gelungen ist. Wir müssen zu diesen Mitteln greifen, es geht nicht anders, die Wohnung friert zu. Ich zerre wieder an den Steigbügeln wie ein kleiner Junge, der will, dass Vater ihm den Hot-Wheels-Ständer im Rewe leer kauft. »Wenn Sie sich nicht sofort verpissen, rufe ich die Security!« frotzelt mich der Jockey jetzt an und ich wundere mich, dass diese Leute so vulgär sein können. Ich halte hektisch Ausschau nach den Ordnern, zupfe den Mann noch einmal am Stiefel und jammere würdelos: »Können Sie heute nicht einmal nur Zweiter werden? Bitte!!!« Der Mann sieht mich an wie einen Irrsinnigen und winkt die Ordner herbei.
Mein Handy klingelt, als die Ordner gerade dem Wink des Jockeys folgen und in meine Richtung stürmen. Hartmut ist dran und schreit »Die Dose muss siegen!« in mein Ohr. »Ich habe eben die Stromversorgung vom ganzen Ruhrpark erwischt. Das Kino ist dunkel, die ganze Shopping Mall, die Grills bei McDonalds. Sie verfolgen mich. Wenn Sie mich erwischen, gehe ich in den Knast. Sieh zu, dass du den Jockey aufhältst! Rette wenigstens dein Leben!« Dann knackt es und Hartmut ist weg. Ich schaue verdutzt nach oben und muss ein verdammt dummes Gesicht machen. Dann besinne ich mich auf die Situation, sehe die Ordner auf mich zurennen, reiße mit schlechtem Gewissen dem Jockey die Gerte aus der Hand, schlage das Pferd, bis es bockt und sehe noch, wie der Jockey vom Rücken des Pferdes aus in die anstürmenden Ordner geschleudert wird. Dann renne ich.
Als ich das Gelände verlassen habe und mit dreckiger Hose eine Böschung passiere, klingelt wieder mein Telefon. »Ich konnte entwischen!«, brüllt Hartmut, »der Zocker wird verlieren. Wir treffen uns zu Hause!«
Und das tun wir.
Fast zeitgleich kommen wir vor der schiefen Tür an, Hartmut in seinen schwarzen Tarnklamotten und ich als verdreckter rasender Reporter, der den Jockey aufgehalten hat, indem er ihn in die Ordnertruppe schleudern ließ. Wir brechen die Wohnungstür auf, die schon wieder festgefroren ist, streifen kurz die Öhrchen von Yannick, der uns grimmig miauend begrüßt, und werfen den Computer an, um den Fortgang der Auktion zu betrachten. Wenn wir auch nur einen Euro verdienen, haben wir das Spiel gewonnen. Was wir dann jedoch sehen, verschlägt uns den Atem. Mehrere Galerien übertreffen sich in der Bieterliste, wenige Minuten vor dem Ablauf der Aktion steht unsere Schimmeldose bei 1.432 €. Im Radio geben sie einen unerklärlichen Stromausfall im Ruhrpark und die Verletzung des besten Jockeys aus Nordrhein-Westfalen durch einen wahnsinnigen Fan bekannt; als die Nachrichten vorbei sind, endet die Auktion auf knapp 2.000 €. Hartmut und ich liegen uns in den Armen, rennen in den Keller, werfen die Heizung an, holen uns gegenüber Pommes Spezial und betrachten in der Wohnung, wie das Eis zu schmelzen beginnt und auf den Boden tropft.
Ich verstecke mich noch einige Tage, damit niemand mich mit dem Jockey in Verbindung bringen kann, und Hartmut fährt in die Bild-Redaktion, um seinen Gewinn einzustreichen. Wir bezahlen die Heizungsschulden, kaufen die 250 CDs wieder nach und reparieren das Heizungsrohr.
Das kaputte Stück schicken wir unserem Vermieter als Einschreiben. Ich gehe baden.
IRONISCH GEBROCHEN
»Ich halt das nicht mehr aus«, sagt Hartmut, schmeißt seinen Rucksack auf die Couch und sieht mich kurz an, damit ich die Playstation auf »Pause« drücke und ihm mein Ohr leihe. Yannick sitzt in meinem Nacken auf der Lehne und miaut. »Diese ständig ironisch Gebrochenen. Ich halt das nicht mehr aus.« Er wirft sich auf die Couch und legt die Füße auf den Wohnzimmertisch. Seine Schuhe zerknittern die Fernsehzeitung. Sie ist in DIN A5 und heißt tatsächlich TV Piccolo , was natürlich alles andere als ironisch gebrochen und ganz grauenhaft ist. Hartmut spricht weiter: »Diese elenden Studenten aus der Philosophie, die müssten es doch besser wissen, oder?«
»Was müssten die besser wissen?«, frage ich.
»Dass es den wahren Menschen doch sowieso nicht gibt. Dass wir immer irgendwie Rollen spielen. Das ist doch ganz banal, das weißt du doch. Aber die sitzen da auf den Uni-Fluren vor den Seminarräumen und
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