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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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sieht mich vorwurfsvoll an.
    »Ja nun, wir haben 20:15 Uhr«, sagt er und hebt wieder an: »Blickkontakt wurde vermieden. Sie starrte auf den Tisch. ›Bitte, Alice. Laß mich abwarten. Es ist sinnlos, dir etwas zu erzählen, was dich das Leben kosten könnte.‹«
    »Lass mich wenigstens noch eine Gabel holen«, sage ich.
    Seit wir auch keinen Strom mehr verbrauchen und der Fernseher aus bleibt, hocken wir uns jeden Abend zur Hauptsendezeit auf die Couch und lesen uns gegenseitig John Grisham vor. Auf der Ablage hinter der Couch steht ein alter Kerzenleuchter und auch sonst besteht unsere Wohnung nur noch aus Wachsresten. Ich haste zurück ins Wohnzimmer und stolpere im Dunkeln über leere Plastikflaschen und klapperndes Weißblech. Es stimmt nicht, dass Geld keine Rolle spielt. Seit wir keines mehr haben, achtet nicht mal mehr Hartmut auf Ordnung. Ich zittere ein wenig, wickele mich auf dem Sessel in die Zeltplanen ein und öffne die kalten Ravioli. Als ich fertig bin und der Deckel beim Zurückschwingen ein paar rote Sprenkel auf mich und die Tapete verteilt, liest Hartmut weiter: »›Wenn du mir helfen willst, dann geh morgen zum Gedenkgottesdienst. Lass dir nichts entgehen. Lass verlauten, dass ich dich von Denver aus angerufen habe, wo ich bei einer Tante wohne, deren Namen du nicht weißt, und dass ich dieses Semester sausen lasse, aber im Frühjahr zurückkommen werde … ‹« »Warum spielen diese Geschichten eigentlich immer unter Reichen?«
    »Tun sie nicht«, sage ich kauend und mit der Gabel auf das Buch deutend. »Lies weiter.« Aber Hartmut setzt ab und klopft mit dem Roman auf seinen Knien herum: »Studentinnen, Juristen, Nachwuchsjournalisten … weißt du, wie teuer es ist, in Amerika studieren zu gehen?«
    »Hartmut, wenn der Roman jetzt als Film auf Pro 7 laufen würde, gäbe es keine soziologischen Kommentare zwischendurch.«
    »Ich mein ja nur … « Hartmut setzt wieder an, ich stecke die Gabel in die Ravioli zurück, doch bevor ich eine Teigware in den Mund stecken kann, lässt er das Buch wieder sinken.
    »Aber es ist doch eigentlich wahr. Warum spielen so viele Geschichten unter Leuten, die ganz selbstverständlich etabliert sind. Warum macht keiner eine Geschichte über uns?«
    »Die sind nicht etabliert, das sind doch bloß ganz normale Juristen, jetzt lies doch einfach weiter, ich will mein Abendprogramm.«
    »Das ist aber das Problem!« springt Hartmut jetzt auf und selbst Yannick zuckt kurz auf dem Tisch zusammen. »Alle wollen bloß ihr Abendprogramm. Gerade jetzt, wo es allen schlechter geht.«
    » Uns geht es schlechter. Weil wir eine Heizung haben, die das Geld als heißes Wasser in den Kellerboden tropfen lässt.«
    »Und was ist mit deiner Lohnkürzung? Meiner Uni? Den ganzen Fusionen? Den Entlassungen?«
    Er kommt wieder vom Kleinsten ins Größte. Vielleicht hätten wir Tolkien statt Grisham lesen sollen. Mir ist kalt, selbst unter den Planen.
    »Es hat doch niemand mehr Geld. In den großen Firmen gibt es nur noch Praktikanten. Es wundert, dass der Chef noch ein Festangestellter ist.«
    Es klingt immer wie ein Fakt, wenn Hartmut so etwas sagt. Es macht mich wütend. Ich denke daran, wie ich bei Plus die Cookies zurücklege, weil wir nur das Nötigste nehmen, und wie ich das Baden vermisse. Von den 500 CDs im Haus haben wir schon 250 auf eBay verkauft. Doch selbst die Musik verpuffte in der Rechnung, die uns die Stadtwerke ins Haus geschickt hatten. Bücher, Poster, Biergläser, Fahrradteile, Sportartikel und halb volle Parfumflaschen wurden zu Geld gemacht und in die Heizkosten hinein zerstäubt; sogar das Besteck wurde bis auf zwei Teile pro Person ausgedünnt. Nur die Playstation-Spiele blieben unangetastet für die späteren, undenkbaren Zeiten nach der Flaute.
    »Du findest immer eine Arbeit, wenn du kein Geld dafür verlangst«, nörgelt Hartmut weiter. John Grisham ist vergessen und ich muss daran denken, was er schon alles versucht hat, um neben seiner eMail-Beratung für Verzweifelte besseres Geld zu verdienen – am besten als Texter. Er hat sich fast überall gemeldet, wo er es verantworten konnte. Das Ergebnis waren fünf Abonnements von den Magazinen, an die er Artikel verkaufen wollte, vier Mitgliedschaften bei Umweltschutzorganisationen, deren PR-Stelle leider schon besetzt war, und 128 Angebote, daheim Tüten, Hefte und Broschüren zusammenzukleben, die zunächst beim Verlag käuflich zu erwerben gewesen wären. Als ich dann darauf aufmerksam machte, dass der

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